Alles bio - oder was?

■ Unternehmen geben sich grün - mit Panda-Belugas, weitergereisten Joghurt-Pfandflaschen und ökobilanziertem Drittel-Pril. Bernd Müllender hat den Umweltbericht von Henkel studiert

Unternehmen geben sich grün — mit Panda-Belugas, weitgereisten Joghurt-Pfandflaschen und ökobilanziertem Drittel-Pril. BERND MÜLLENDER hat den Umweltbericht von Henkel studiert.

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m Supermarkt '92: Ich bin öko. Ich bin bio. Umweltgerecht. Umweltschonend. Umweltfreundlich. Wiederverwertbar. Entsorgungsfreundlich. Der Natur zuliebe. Naturbelassen. Ich habe den Grünen Punkt und den Blauen Engel. Ist denn alles bio — oder was?

Natürlich nicht. Alles will bio scheinen, weil der Öko-Megatrend längst zum Marketingrenner geworden ist. Unternehmer geben sich grün, das ist ihre aktuelle Wettbewerbs- Waffe. Ganze Branchen wollen Speerspitze der Ökologiebewegung sein, selbst Autos, Inbegriff der Naturvernichtung, werden als Killer light verkauft: Peugeot jubiliert sich, als wären die giftigen Auspuffabgase nunmehr französisches Edelparfum, zum Führer in der Dieseltechnologie hoch. Opel läßt im Fernsehspot Delphine in Zeitlupe durch türkisene Fluten hüpfen („Bessere Autos für eine bessere Umwelt“), BMW gaukelt sich mit scheinheiliger Dreistigkeit selbst ein gutes Gewissen vor (O-Ton: „Da der PKW weltweit nur in geringem Maße zur CO2-Emission beiträgt, kann er auch nur in geringem Maße bei der Reduzierung mitwirken“), und Mercedes protzt branchengerecht mit der Rechtfertigung für ein neues landschaftfressendes Werk: „Man riecht es kaum, man hört es kaum, und selbst Schmetterlinge stört es nicht.“

Holländische Wasserballons

Auch im Alltag, im Supermarkt nebenan, gibt es lächerliche wie ärgerliche Beispiele: Die Tengelmann- Gruppe begann vor Jahren, ihre Plastiktüten als verrottbar anzupreisen und stellte zudem den Verkauf von solchen Marktrennern wie Froschschenkelprodukten lautstark ein. Dann taten sie kund, man werde jene berüchtigten holländischen Wasserballons mit roter Färbung (Produktname: Tomate) nicht mehr vertreiben und stieg, sehr alternativ, vermehrt auf rote Ballons aus belgischen Fabriken um. Neuerdings gibt es statt Einwegplastik Joghurt-Pfandflaschen einer Firma aus Weihenstephan. Lobenswert, nur müssen die Pullen dann, die Autobahnen rauf und runter, mit vielen LKW (man riecht es kaum...“) hin und her transportiert werden.

Für'n Arsch sind auch die Produkte der Papierfirma Schickedanz aus Nürnberg: Klopapier etwa, dazu Taschentücher und Küchenrollen. Markenname ist „Beluga“, schon das klingt hübsch nach weißem Wal und Artenschutz. „Umweltschonend, weil aus 100 Prozent ungebleichtem Zellstoff“ steht bioargumentativ darauf. Erstaunlicherweise aber fehlt der Blaue Engel (Umweltsiegel des Umweltbundesamtes), den die Konkurrenzprodukte im Regal alle tragen, so sie aus Altpapier sind. Doch wer guckt schon so genau hin, zumal ein Panda (Werbezeichen des World Wildlife Fund — WWF) die Beluga-Packungen ziert. Ganz grantig wird ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes ob „dieser Täuschung“. Das Panda-Logo darf nutzen, wer dem WWF gespendet hat. Nichts gegen zu sagen, sagt auch der Mann beim Umweltbundesamt. „Aber wir prüfen gewissenhaft jedes Produkt, ob es die Anforderungen für einen Blauen Engel erfüllt, und dann kommen manche daher und setzen sich nach eigenem Gutdünken irgendwelche Phantasiezeichen auf ihre Produkte.“ Und 100 Prozent ungebleichter Zellstoff ist eben null Prozent Altpapier. Indes wirken die Beluga-Produkte, bräunlich- grau, als wären sie aus wiederverwertetem Papier.

Der Panda-Beluga zeigt aber auch, jenseits aller Werbetricks, ebenso wie bei der Joghurt-Pfandflasche die komplexe Vernetzung ökologischer Probleme. Wenn Schickedanz zwar naturfreundlich ungebleicht, aber doch Neupapier produziert, werden unnötigerweise große Mengen Wasser belastet. Doch diese Ökosünde hilft indirekt wieder gegen den Borkenkäfer, der sich durch die derzeit immensen Holzbestände frißt und im Wald für Notrodungen ohne Ende sorgt. Millionen Tonnen Festholz warten nach den Winterstürmen 1990 noch immer in den Lagern, und neues Holz wächst viel zu viel zu schnell nach. Den Schwarzen Peter hat dann die deutsche Forstwirtschaft mit ihrer ökologisch skandalösen Monokultur, die schnellwachsende und ökonomisch ertragreiche Fichten anbaut, wo sie nicht heimisch sind, und so das sensible Gleichgewicht der ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt nachhaltig durcheinanderwirbeln und zerstören. Was unvergleichlich schlimmer ist als falsches Klopapier.

Bei Persil weiß man, was man hat

Das weißeste Weiß ist verkaufsstrategisch inzwischen vergilbt. Jetzt ist es das grünste Grün, das blendet. Persil war so ein Weißest-Weiß. Hersteller Henkel aus Düsseldorf hat sich umgestellt und als erstes großes Unternehmen einen Umweltbericht aufgelegt: Die Erstausgabe „Umweltbericht 1992“ wurde in Fachkreisen auch als durchaus sinnvoller Anfang bezeichnet. Als erster kleiner Schritt zum großen Ziel einer Ökobilanz. Eine solche würde, wenn es irgendwann einmal verbindliche gesetzliche Vorschriften gäbe, ein Produkt exakt auf seine Umweltverträglichkeit abklopfen können, von Inhaltsstoffen über Rohstoffeinsatz und etwa Wasserverbrauch bei der Produktion bis zu Entsorgungsaufwand und Recyclingauswirkungen. Bislang indes scheut die Industrie solche, zugegeben hochkomplizierten, Meß- und Vergleichsrechnungen.

In Henkels Umweltbericht ist viel vom firmeneigenen „Öko-Audit“, von „Öko-Katastern“, von „Öko- Zertifikaten“ und „Umwelt-Management“ die Rede. Der Reinigungsmittel-, Kosmetik- und Klebstoffmulti lobt, aus firmeneigener „ökologischer Verantwortung“, die unzweifelhaften Erfolge bei der Aussonderung gefährlicher Inhaltsstoffe. Verringerter Tensid-Einsatz, Phosphate verbannt, ebenso wie fungizide und biozide Mittel. Pritt ist seit 1989 lösungsmittelfrei und die Pril-Flasche zu 30 Prozent aus wiederverwertetem Kunststoff.

Indes gesteht die Geschäftsführung ein, daß der Bericht „auch auf noch zu lösende Probleme hinweist“. Daß man bisweilen „die gesetzlichen und freiwilligen Verpflichtungen“ noch übererfülle, bedeutet bei der laschen deutschen Umweltpolitik wenig. Daß „die Umweltverträglichkeit und Produktion weiter stetig verbessert“ wird, läßt im Umkehrschluß das Verseuchungsausmaß der Vergangenheit erahnen. Ebenso daß die „Waschmittel-Produktion im Stammwerk Düsseldorf kaum noch verunreinigte Abwässer in das Kanalnetz“ abgebe. „Kaum“ ist vage und die giftigen Todsünden von gestern nicht wiedergutzumachen.

Entlarvend aber ist dies: Vollmundig verkündet Henkels Umweltbericht 1992, daß man inzwischen den Klimakiller FCKW als Treibgas und Kältemittel vollständig eliminiert hat. Man verwende nunmehr einen Ersatzstoff, die „Weltneuheit Assil Multi 134, von dem keine Schädigung der Ozonschicht mehr ausgeht“. Das Greenpeace-Magazin schrieb im Frühjahr von „einem enormen Treibhaus-Effekt“ der neuen Produktgruppe R 134a. „Allein die 20.000 Tonnen, die Höchst und Solvay 1993 in Deutschland produzieren wollen, heizen das Klima so stark auf wie 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das ist die doppelte Menge dessen, was die gesamte LKW- Flotte der Bundesrepublik im Jahr ausstößt.“

Der Teufel wird also mit dem Beelzebub ausgetrieben. Eine Henkel- Sprecherin gibt die Identität der beiden Stoffe 134 und 134a zu. Was im frisch erschienenen Umweltbericht noch als Nonplusultra gepriesen wurde, ist jetzt, ziemlich kleinlaut, „nicht gerade optimal“. Aber man wolle jetzt ein „wiederum neues Treibmittel mit reduziertem Treibhauseffekt“ auf den Markt bringen. Die Heizung der Erde wird also auf Sparflamme gestellt. Bei Persil weiß man, was man hat, doch bei Neuentwicklungen blicken auch die hauseigenen Diplom-Chemiker nicht durch (oder täuschen vorsätzlich). Aber die Henkel-Sprecherin verspricht: „Wir arbeiten daran.“

Das tun sie alle oder geben es vor, pausenlos. Wirklich ökologisch ist nur der Verzicht. Aber solches Denken ist zutiefst marktfeindlich. Das schlechte Gewissen — aus Mangel an Lenor — gehört heute nicht mehr den Hausfrauen, sondern den Produzenten. Doch die verkaufen ihre Fortentwicklungen von Ersatz zu Ersatz werbetechnisch als naturnahe Allheilmittel, daß sich bewußte VerbraucherInnen nur noch grün ärgern können.