: BAHNCARD-GRAUFAHRER-NULLTARIF
■ Der Tarifdschungel der Bahn scheint gelichtet, nicht so das Trickdickicht
Der Tarifdschungel der Bahn scheint gelichtet, nicht so das Trickdickicht
VONBERNDMÜLLENDER
„Das neue Angebot der Bahn: Intelligent reisen mit dem Hypersparpreis Spezial, gültig Montagnacht und Mittwochmittag an jedem ungeraden Datum außerhalb der Ausschlußtage 1.1. bis 31.12., bonusheftverbilligt bei nachlösefreier interregionaler ICE-Netz-Streckenkarte für gruppenreisende senile Jung-Junioren unter 3 Jahren gegen gültigen Berechtigungs-Nachweis für Großraumwagenabteile zum teilzuschlagreduzierten Mitfahrerrabatt für die Hälfte vom doppelten Fahrpreis in den Heimatbahnhof des rosaroten Elefanten — und das, ohne vom Wetter zu reden.“ So hätten Kabarettisten bislang für den Tarifdschungel der Bahn geworben. Jetzt aber kommt, ab 1. Oktober, die Bahncard: 220 Mark; ein Jahr gültig; alle Fahrten, auch IC und ICE, zum halben Normalpreis. Ganz einfach und überschaubar.
Die Bahn nennt die Bahncard „bahnbrechend“: „Ein Jahr Deutschland. Für alle. Für die Hälfte.“ Die Vorschußlorbeeren sind gewaltig. Selbst der alternative Verkehrsclub VCD jubelt und lobt. Aber manche Fallen, Beutelschneidereien und Pfennigfuchsereien der Bundesbahn bleiben, neue kommen hinzu — und auch so manche Tricks, wie man diese umgeht.
220 Mark sind für manche zunächst eine happige Investition. Werde ich überhaupt so viel fahren, daß es lohnt? Komme ich nicht mit dem (weiterhin gültigen) Supersparpreis-Angebot besser zurecht? Oder fahre ich, wenn es jedesmal nur die Hälfte kostet, doch weit mehr als geplant mit der Bahn und lasse das Auto stehen? Aber ein bißchen ist die Bahncard auch Katze im Sack: Denn was wird mit den schon anvisierten (womöglich saftigen) Preiserhöhungen Anfang 1993 — davon kann auch die Hälfte eine Menge ausmachen.
Die neue Bahncard-Ära hat noch andere Nachteile. Abgeschafft werden die bisherigen altersbedingten Spezialpässe. Statt dessen gibt es die Bahncard für den halben Preis: JuniorInnen (bis 22), StudentInnen (aber nur bis 26) und SeniorInnen (ab 60) bezahlen nur 110 Mark — das entspricht ihren bisherigen Vergünstigungspässen. Zuschläge indes, etwa für den IC, alle Gebühren und auch die Mitnahme eines Fahrrades müssen von allen Bahncard-Besitzern voll gelöhnt werden.
Ehepartner von Inhabern einer Bahncard zahlen ebenfalls nur 110 Mark. Das ist neu und erfreulich — aber eine Diskriminierung von nichtverheirateten Paaren. Die Bahnverwaltung argumentiert auf Nachfrage kühl, man habe „den sonstigen Regelungen des Gesetzgebers zu folgen“. Bei Familien mit Kindern bekommen Vater und Mutter die Bahncard jeweils für 110 Mark, und ihre Kids unter 18, aber höchstens zwei, zahlen nur 50. Bedingung aber: man muß gemeinsam verreisen (mindestens ein Elternteil muß dabeisein). Dies gilt, immerhin, auch für Alleinerziehende. Nicht aber für Nichtverheiratete mit Kindern — da zahlt einer volle 220 Mark. Eine Frechheit ist es, daß man sich gegen Verlust der Bahncard mit 23 Mark extra versichern muß, obwohl die Bahn die Daten ihrer Kunden speichert und problemlos eine neue Karte ausstellen könnte. Versichert man sich nicht, kostet eine neue die vollen 220 Mark. „Die Bahncard ist ein kommerzielles Angebot“, sagt ein Bahnsprecher, „und da müssen wir kommerziell rechnen.“
Abgeschafft werden — leider — die schummelleichten Streckenkarten, in die man nur dann eine Fahrt eintrug, wenn die Kontrolleure kamen. Wenn man die nicht traf (Toilette, Zugrestaurant, Zufall), war der persönliche Nulltarif erreicht. Ebenso gibt es ab 1.10. keine Bahn- Bonus-Hefte mehr (wer innerhalb eines Jahres für 1.000 Mark gefahren war, bekam ein Supersparpreisticket im Wert von 140 Mark geschenkt).
Das Ende des Bahn-Bonus-Heftes hat zwei Nachteile; der erste ist bahnoffiziell und eine ziemliche Unverschämtheit: Wer im Vertrauen auf die Bahn innerhalb der vergangenen Monate ein solches Heft zu führen begonnen hat, steht nun mit einem halbvollen Heft da. Denn: Bahncard- halbierte Fahrten können nicht eingetragen werden. Also Heft wegschmeißen oder so lange voll zahlen, bis das Heft voll ist. Die Bahn wird sich über die Zusatzeinnahmen der ins Bonussystem gelockten Kunden freuen.
Der zweite Nachteil ist illegaler Art und trifft diejenigen, die pfiffigerweise parallel zwei oder noch mehr Bonushefte gleichzeitig führten und sie sich von verschiedenen Schaffnern abstempeln ließen („Ach, ich habe bei Ihrem Kollegen eben vergessen, die Fahrt in mein Bonus-Heft eintragen lassen“). Die Gegenquittung für den Kauf des Tickets ließ sich ebenfalls nachträglich (am besten im Reisebüro) besorgen. Interessant an dieser Variante des verbilligten Reisens war immer, daß man den Kontakt zum Bahnpersonal suchte, statt sich in der Schwarzfahrerversion zu verbergen. Mit ein, zwei, drei ganz vielen Freifahrten ist es nun vorbei. Letzte Chance: Bonus-Hefte bis 30.9. kaufen.
Mit der Bahncard werden die Züge, so hofft man, besonders im Fernverkehr voller. Verkehrspolitisch und ökologisch ist das zu begrüßen. Aber daran werden die Reisenden, wenn sie dosensardinengemäß aufeinanderpappen, kaum denken. Rettung brachte in solchen Fällen bislang die oft leere 1. Klasse. Man stieg um, und wenn (oft nach langer Zeit) ein Schaffner kam, nannte man den letzten Haltebahnhof als Ort des Übergangs und zahlte die derart kleingehaltene Differenz. Das ist nun nicht mehr möglich, weil es eine Bahncard 1. Klasse nicht gibt (soll 1993 folgen, Preis geheime Kommandosache). Kein Pfennig wird angerechnet, zu zahlen ist der volle Preis erster Klasse oder eine Fortsetzung der Fahrt als Sardine. Dies umgehen können bis 30.9. alle Senioren und Junioren: schnell noch die alten Karten für den gleichen Preis (110 Mark) kaufen — damit kann man auch first class für die Hälfte fahren.
Auch mit Bahncard bleiben indes alle Möglichkeiten zum Nulltarif. Schwarzfahren mit Toilettenversteck ist allerdings antiquiert und zu risikoreich: Wird man erwischt, gibt es kaum noch eine Ausrede. Besser war es schon immer als GraufahrerIn. Version 1: Man löst nach, falls der Schaffner kommt (plus 5 Mark Nachlösegebühr, außer man hat ein Automatenbillett mindestens der Preisgruppe 2, das angerechnet wird; Halbpreiskarten für Bahncardler darf auch der Schaffner ausstellen). Oder Version 2: Man hat durchaus eine gültige Fahrkarte, versucht aber, dem Kontrolleursstempel zu entgehen, um die Karte später zurückzugeben („Habe doch das Auto genommen“). Bei „Noch jemand zugestiegen?“ lächeln offensive Routiniers den Schaffner an, als kenne man sich schon vom Kontrollgang zuvor. Sich verschanzen hinter Walkman und Lektüre gilt als amateurhaft, es sei denn, man liest etwa auf der Strecke Hamburg-Bonn noch im Ruhrgebiet das Hamburger Abendblatt — das signalisiert eine bereits lange Fahrtstecke und eine hohe Wahrscheinlichkeit, schon kontrolliert worden zu sein (gleiches gilt, bei vollen Zügen, für das Sitzen auf einem Fensterplatz, den man sich erst durch Aussteigen anderer ergattern konnte — Stichwort: Abteilhierarchie). Auch Bahncard-Karten werden manche weiterhin für Teilstrecken doppelt nutzen können, wenn sie erklären, sie hätten doch die eigentlich abgestempelte Karte neulich nur für das erste Teilstück benutzt.
Neue Vorteile für Betrugswillige hat die Bahncard keine — außer man fährt mit der eines Dritten und hofft, daß die Kontrolleure keinen Lichtbildausweis verlangen. Tun sie es doch, gilt man als SchwarzfahrerIn: doppelter Fahrpreis, mindestens 60 Mark. Hat man den eigenen Ausweis tatsächlich nur vergessen, erlaubt die Bahn einen nachträglichen Nachweis und erstattet den SchwarzfahrerInnentarif dann zurück.
Was sicher bleibt, sind die Pauschalangebote wie der gute alte Supersparpreis. Mit allen Möglichkeiten: Zwar läßt die Bundesbahn seit einem Jahr keine Umwege mehr zu (etwa: Kiel über Münster nach Dresden), aber auch so ist sie machtlos, wenn man die eigentlich nicht übertragbaren Tickets für Teilstrecken weiterveräußert. Beispiel: 210 Mark bezahlen für zwei Personen, die Strecke Dortmund-Flensburg hin und zurück fahren, und dann, weil man die Karte vorsorglich auf Basel-Dortmund-Flensburg hat ausstellen lassen (legal, kein Umweg) mit der einfachen Reststrecke Dortmund-Basel zwei andere glücklich machen. Und ein paar Mark von den 210 zurückkassieren. Das liest sich dann, fast taztäglich, auf der Wiese so: „Verkaufe DB-Ticket, von... nach..., gültig bis..., Preis... DM.“
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