Seelische Unterkühlung

■ Der junge Dramatiker Oliver Bukowski

Bukowski möchte keine „Presse“, erklingt es wie aus einem Munde von Theaterleuten, wenn ich nach seiner Telefonnummer frage. „Klein, blond, pummelig“, beschreibt er sich, als wir uns dann doch am U-Bahnhof Stadtmitte verabreden. Hier übertönt der Abriß der Friedrichstadt-Passagen in den Häuserschluchten Verkehr und andere Bautätigkeit. In unmittelbarer Nähe, gewiß keine Ruhezone für einen Autor, arbeitet und wohnt er mit Frau und Kind.

Ich spreche einen Dicklichen an. Er ist es nicht. Bukowski dann ist stämmig und kernig. Jugendvizemeister der DDR im Ringen war er, erfahre ich später. Ich verstehe: „Klein“ ist zuwenig, „stark“ zuviel für einen, der sich gern bedeckt hält. „Pummelig“ entspricht seiner Lust an Ironie, Finte und Überraschung.

Abstand von „der Presse“ mit all ihren „Klischees und Reduktionen“ bleibt die Regel, betont der Einunddreißigjährige auf einer Café-Terrasse Unter den Linden, wohin wir ausweichen. Seine Künstler-Stammkneipe um die Ecke wird frühmorgens noch gereinigt. Aber ein Autoren-Porträt soll nun doch sein.

Das Training, der Wettkampf und die Medaillen seiner Jugend sind graue Vorzeit, findet er. Doch wo schimmert bei ihm der Sportler nicht durch? Beim Reden untertreibt er vorsichtshalber, argumentiert dann zäh und mit ständig neuen Gedanken ohne Rechthaberei. Auch die Figuren aus Bukowskis Stücken provozieren ständig ihr Gegenüber. Zumeist agieren sie mit Gewalt aller Art, selbstverständlich und spielerisch wie mit einer zweiten Alltagssprache. Die Sportschulen mit ihrem Leistungszwang und ihrem sadomasochistischen Klima, das Leben im Internat, wo er sich freier fühlte als zu Hause, ermöglichten genaue Menschenbeobachtung, die für die Selbstbehauptung unerläßlich war. Das Ringen war wohl eine prägende Erfahrung fürs Leben, fürs Schreiben, fürs Reden.

Wie er von der DDR erzählt, ging es ihm gut. Die Zeit war kein Verlust. Mit Bitterkeit redet er allerdings doch von typischen Vorfällen, Entscheidungen, die man ihm überließ und für die ihn die Leiter öffentlich bloßstellten, rachsüchtig benachteiligten, eben „abstraften“, wenn sie nicht opportun ausfielen. Er erzählt beispielsweise, wie er sich ein ordnungsgemäßes Abtrainieren ermöglichte, indem er sich rechtzeitig von den Wettkämpfen zurückzog und seine Kraft nicht bis zuletzt aufbaute und verfügbar hielt.

Auch das erste Stück „Halbwertzeit für Kanarienvögel“, das das Porträt einer älteren Fahrkartenkontrolleurin zeichnet, die sich in der Nachbarschaft eine winzige Machtposition aufgebaut hat, beschreibt eine Person, die mißgünstig und rachsüchtig die Menschen beäugt und gern „abstrafen“ würde, wenn sie könnte.

Für Bukowski wurde die Wende zur Aufbruchszeit. Als nach den Evaluierungen der Humboldt-Universität sein Promotionsstipendium im Fach Philosophie verloren war, managte er Theatergruppen. Vielleicht knüpfte er an seine Organisationserfahrungen als gut verdienender jugendlicher Profi-Diskotheker an. Was er an Theater sah, war ihm zu ernsthaft, zuwenig vermittelnd, und Staatstheater findet er bis heute nicht verlockend. Da griff er selbst zum Stift. Womöglich formt das erworbene Gespür des Diskothekers, wie man Publikum bei seiner Lust packt, auch die Stücke, für die sich wenige Vorbilder anbieten. Manches erinnert an Ionesco, manches an Beckett, die er auch als Bezüge nennt. Aber die eigenen Themen überwiegen. Bukowski kennzeichnet die Stücke mit der gängigen Formel „intelligente Unterhaltung“, die aber angesichts der ernsten, mitunter schockierenden Inhalte eher unzutreffend ist.

Figuren und Stoffe umkreisen immer wieder eine seelische Unterkühlung der Menschen, ihre Unfähigkeit zu Lebenssinn und befriedigenden Erfahrungen, die kompensatorische Suche und Anfälligkeit für ständig gesteigerte Reize, je gefährlicher, um so besser. Wie von selbst entsteht dabei Dramatik, die Menschen suchen Herausforderungen, befremdliche, lebensfeindliche, unfreiwillig komische. Bukowskis Form ist daher die Groteske, die lustige Tragödie. Da die Menschen an ihren falschen Zielen nur scheitern können, ist sein Stil die Ironie, der böse Humor. „Ein Sargnagel, der Schwanz.“ Die Täuschung, auch des Zuschauers, ist als uraltes Theatermittel mit kriminalkomödienhafter Leichtigkeit modernisiert.

Stücke wie „Inszenierung eines Kusses“, eine Überraschungsparty zum Geburtstag mit Grausamkeiten, oder „Die Eiche, die Antilopen“, ein aufregendes gegenseitiges Zermürben zweier Wachmänner, sowie mehrere andere Stücke über intelligente gelangweilte Großstädter, die aus ihrer Verrohung eine letzte Lebenslust beziehen, brachte Bukowski in rascher Folge in den letzten zwei Jahren bei dem Berliner Verlag Gustav Kiepenheuer heraus.

„L.Ä. — Londn — Lübbenau“ ist dagegen fast volksstückhaft. Rückkehr in die brandenburgische Provinz. In Cottbus und der Umgebung ist Bukowski aufgewachsen, die Menschen und Zusammenhänge sind überschaubar geblieben. Ein Stück Heimat, wohin er gerne mal zurückkehrt und das er erholsam findet, trotz des Niedergangs, der Verwahrlosung und der Aussichtslosigkeit der Region schon zu DDR-Zeiten. Die unkomplizierte Drastik, mit der Bukowski die Bewegungen eines lustvoll-lustigen Ehepaars mittleren Alters beschreibt, treffen wie die Vereinfachungen und Übersteigerungen Heinrich Zilles das verzweifelte Volksvergnügen. Der Mann verliert die Arbeit, der zur Rettung gegründete Getränkemarkt reißt sie vollends in den Abgrund. Die Lausitzer Mundart steigert die Grobheit, und doch geht von allem infrarote Wärme aus.

Bukowski trauert der DDR nicht nach, aber er bedauert die Ostdeutschen, die doppelt verlieren. Nach dem Verlust ihrer sozialen Identität überantworten sie sich zu blind und unerfahren dem westlichen Leben, das sich mühsam selbst befragt und revidiert. Bukowskis Stücke spiegeln tiefe Skepsis ob der westlichen Lebensart, die er schon vor der Wende zur Kenntnis nahm. Sein Philosophiestudium mit dem Zugang zu westlicher Literatur galt der Frage, „was das Soziale zusammenhält“, in Ost und West. Mit breit gefächerter Lektüre holt er sich weiterhin heran, was sich der persönlichen Erfahrung entzieht: Unter dem Unterhaltungsfachmann gräbt und bohrt ein Intellektueller, der vielleicht Poeta doctus wird. Die neuesten Gesellschaftserklärungen fließen in ungebrochenem Erkenntnisoptimismus in seine Argumente ein. Immer noch ist er streng zuteilender Wissenschaftler: Das Theater hat im Sozialen nichts zu suchen. „Man soll sich der Mühe unterziehen und soziale Probleme mit den Mitteln bearbeiten, die zur Verfügung stehen, und nicht mit literarischen Mutmaßungen aus dem Bauch heraus beschreiben und darüber richten.“

„Es müßte ein Stück geben“, sagt er mit Blick ins Weite, „das die Eroberung eines Landes durch ein anderes beschreibt.“ Mit den Erfahrungen seiner „Stückchen“, wie er oft sagt, traut er sich das noch nicht zu. Sechs Stücke sind bisher entstanden; vier davon sind oder werden inszeniert, am Wochenende wird die „Inszenierung eines Kusses“ in Potsdam zur Uraufführung gebracht. Die Einkünfte aus dem Schreiben reichen nicht, für kurze Zeit noch trägt ihn ein kleines Stipendium.

Er will vom Schreiben leben und fürchtet unzureichende Produktivität. Dafür, scheint es, sitzt er täglich am Schreibtisch und geht an, was er nicht kann und weiß. Im letzten Jahr entstand fast alle drei Monate ein Stück. Bukowski fürchtet sich, wie viele Leute, die schreiben, von irgendeinem Job leben zu müssen. Wie läßt sich eine größere Arbeitsphase durchstehen, ein Stück, ein Roman zu Ende bringen? Das Schreiben droht zu einer Identitätsfassade zu werden. Dagegen hilft nur — schreiben. Berthold Rünger