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Die FDP übt die geplante Spontaneität

Der FDP-Parteitag in Bremen muß über die Wehrpflicht, das Asylrecht, den „großen Lauschangriff“ und die Wirtschaftspolitik für Ostdeutschland entscheiden  ■ Von Hans-Martin Tillack

Bonn (taz) — Spontaneität kann sehr hilfreich sein — vorausgesetzt, sie ist gut geplant. Daß dieser alte Grundsatz der Gruppendynamik heutzutage auch Anhänger im Bundespräsidium der FDP hat, belegt ein neuartiger Tagesordnungspunkt, mit dem die Freidemokraten heute vormittag ihren Parteitag in Bremen eröffnen: eine offene Fragestunde. Die 662 Delegierten dürfen fragen, Parteichef Otto Graf Lambsdorff und die Präsidiumsmitglieder müssen antworten. „Das Ritual“, so FDP-Generalsekretär Uwe Rühl, soll auf diese Weise in „etwas modernisierter Form“ gestaltet werden.

Langeweile hätte dem Parteitag, der morgen nachmittag mit einer Diskussionsveranstaltung zur deutschen Einheit endet, allerdings sowieso nicht gedroht — eher schon heftige Streits und unkontrollierter Unmut aus den Reihen der 136.000 Parteimitglieder. Während die Parteiführung in den letzten Wochen zu beinahe jedem Asylrechtskompromiß mit CDU und SPD bereit schien und die Rechtspolitiker der Fraktion zu einem „großen Lauschangriff“ auf Privatwohnungen ihre Zustimmung signalisierten, wollen viele Liberale solche 180-Grad-Wendungen nicht mitmachen.

Hier gibt es durchaus die „Chance einer Mehrheit“ für die linksliberalen Positionen, glaubt der Berliner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder. Bei aller Bereitschaft zur Grundgesetzänderung müßten die Freidemokraten zumindest am „Individualrecht auf Asyl“ festhalten. Einfach nur den Wählern nachzulaufen, das könne „die Sekretärin bei Infas besser“.

Konflikte zwischen dem sozialliberalen Flügel und der auf die reine Marktwirtschaftslehre eingeschworenen Parteiführung wird es auch im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik geben. In ihrem sogenannten „Elbe-Papier“ hatten der schleswig-holsteinische FDP-Chef Wolfgang Kubicki und die Berliner Oberliberale Carola von Braun schon vor einigen Monaten viele liberale Tabus gebrochen. Sie plädierten nicht nur für Steuererhöhungen und einen „neuen Pakt mit den Gewerkschaften“, sondern auch für staatliche Lohnkostenzuschüsse und Starthilfe für Industriebetriebe im Osten.

Mit solchen Parolen stießen Kubicki und von Braun zwar auf Zustimmung bei manchen ostdeutschen Liberalen, aber auch auf harten Widerstand der Parteiführung. Für Graf Lambsdorff sind viele Forderungen des Elbe-Papiers mit liberalen Marktprinzipien „nicht vereinbar“. Den Delegierten, unter ihnen 269 Vertreter aus den fünf neuen Ländern, liegt nun neben dem Antrag von Kubicki und von Braun ein Leitantrag des Bundesvorstandes vor, in dem die „erfolgreiche“ Wirtschaftspolitik der 80er Jahre beschworen wird. An sie sei auch heute „anzuknüpfen“.

Zu einer Kampfabstimmung zwischen beiden Vorlagen wird es nicht kommen. In einigen Landesverbänden, etwa in Nordrhein- Westfalen, wurde schon im Vorfeld des Parteitages an Kompromißvarianten gearbeitet. Aber von Braun will zunächst den Konflikt suchen. Viele Funktionäre erwarten, daß die Gegensätze auch an einem anderen Punkt hart aufeinanderprallen: Dem Parteitag liegt ein von vielen prominenten Parteimitgliedern unterstützter Antrag vor, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umzuwandeln.

Während Außenminister Klaus Kinkel für die Wehrpflicht ist, hat Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer dagegen unterschrieben. Mag sein, daß es hier schon um Ausscheidungskämpfe für die Lambsdorff-Nachfolge geht, die erst im nächsten Jahr entschieden werden soll. Gegenüber dem Favoriten Kinkel müssen der hessische FDP-Chef Wolfgang Gerhardt, Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann und Irmgard Schwaetzer noch aufholen. Darum bemüht sich vor allem die Bauministerin. Gestern überraschte sie mit einem Verfahrensvorschlag. Sie fände es „pfiffig und sehr demokratisch“, sagte sie der Bild-Zeitung, wenn der Parteichef per Urwahl aller Mitglieder gekürt würde.

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