: Jede Woche 20 Zentimeter Papier aus Brüssel
■ Der SPD-Abgeordnete Conradi ist für Europa — aber gegen die Maastrichter Verträge
Bonn (taz) — Ziemlich gegen Ende der sechsstündigen Bundestagsdebatte über Maastricht durfte gestern auch Peter Conradi seine Rede halten — zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Abgeordneten schon am Tresen in der Cafeteria lehnten. Dann konnte der SPD-Abgeordnete aus Stuttgart für etwas sorgen, was der Debatte vorher abging: heftiger Widerspruch.
Peter Conradi gehört zu der kleinen Minderheit bei CDU, SPD und FDP, die das europäische Vertragswerk ablehnt. Ab und zu klopft dem SPD-Abgeordneten ein Genosse auf die Schulter und versichert ihm: „Du hast ja Recht. Dafür, daß Maastricht scheitert, werden die Engländer schon sorgen. Aber Deutschland kann sich ein Nein nun mal nicht erlauben.“ Und es gebe die SPD-Europaabgeordneten, sagt Peter Conradi, die ihn als „Schönhuber“ beschimpfen.
Damit fühlt er sich gründlich mißverstanden. „Ich bin für die Vereinigten Staaten von Europa“, sagt er. Aber die Union müsse demokratisch aufgebaut werden.
Als Mitglied des Europaausschusses des Bundestages weiß Conradi, von was er redet. Woche für Woche wird sein Schreibtisch überschüttet mit einem Wust von Papier aus Brüssel: Entwürfe für Richtlinien, Verordnungen und Beschlüsse, die der Ministerrat auf Vorschlag der EG-Kommission oder des Europaparlaments erlassen will — letztlich oft auf Wunsch der nationalen Bürokratien, die diejenigen „Gesetze, die sie in Bonn nicht durchbekommen, auf dem Umweg über Brüssel durchsetzen“, sagt Conradi.
Letzte Woche war der Stoß aus Brüssel 20 Zentimeter dick. Vieles davon sei überflüssig, glaubt Conradi, manches unsinnig. Einige Vorlagen könne sich der Bundestag herausgreifen, könne Änderungen fordern und hehre Beschlüsse fassen. Doch was daraus wird, das erfahre das deutsche Parlament nicht.
Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, abzulegen. Peter Conradi bezweifelt überdies, ob das Europaparlament seiner Kontrollpflicht nachkommt: „Die Bundestagsabgeordneten vertreten das Volk gegenüber der Regierung“, sagt er, „die Europaabgeordneten vertreten Europa gegenüber dem Volk.“ Hans-Martin Tillack
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