: Landesübliche Verfahren
■ Auch ohne Grundgesetzänderung wird abgeschoben / Einzelne Amtsinhaber überschreiten ihre Befugnisse immer und überall...
/ Einzelne
Amtsinhaber überschreiten ihre Befugnisse immer und überall...
Mehmet hat falsch geantwortet. Jetzt sitzt Mehmet in einer Zelle im Untersuchungsgefängnis. Mehmets Asylverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Fünfmal ist er in den letzten fünf Monaten zur Ausländerbehörde gegangen. Fünfmal hat er einen Stempel zur Verlängerung seiner Aufenthaltsduldung bekommen. Diesmal hat Mehmet Handschellen bekommen. Abschiebehaft.
Vor knapp vier Wochen war Mehmet mit seiner Verlobten Claudia in der Behörde. Sie wollen heiraten und Mehmet will endlich arbeiten. Sie wollen hier in Deutschland heiraten. Claudias Eltern legen Wert darauf, sie mögen Mehmet, und es soll eine richtige Familienfeier werden. Das hat Claudia dem Beamten der Ausländerbehörde gesagt, und daß sie die Papiere für Mehmet in der Türkei angefordert haben. Aber es dauert acht oder neun Wochen, bis sie da sind. Der Beamte hatte gesagt, Mehmet solle in vier Wochen wiederkommen.
Der Krieg in Kurdistan ist schlimmer geworden, aber die „Kurdenduldung“ (keine Abschiebung in das als Kriegsgebiet eingestufte Land) ist ausgelaufen. Es gab sie nur sechs Monate. Das wußte Mehmet nicht. Aber der Beamte wußte es.
Nun sitzt Claudia beim Anwalt. Am Morgen ist sie mit Mehmet zur Ausländerbehörde gegangen, vier Wochen waren vorbei. Und der
1Beamte wollte von Mehmet diesmal
wissen, ob er freiwillig ausreisen wolle. Aber Mehmet will Claudia heiraten und auf die Heiratspapiere warten.
Die Papiere für seine Heirat sind bereits unterwegs, seine Verwandten in der Türkei haben sie besorgt. Dann mußte Claudia plötzlich raus und draußen warten. Im Keller sitzt Mehmet vor dem Richter und muß an diesem Tage die gleiche Frage zum zweiten Mal beantworten: Freiwillige Ausreise? Nachher erfuhr Claudia dann: In drei Tagen gehe das Flugzeug und sie könne sich von ihrem Verlobten auf dem Flugplatz verabschieden. So hat der Beamte es ihr dann gesagt.
Mehmet hat die PKK, die kämpfende kurdische Guerilla-Partei, unterstützt. Er ist von Soldaten geschlagen, vom Dorfvorsteher angezeigt worden. In der Ablehnung von Mehmets Asylantrag hat dazu gestanden:
„Kurzzeitige Befragungen durch das Militär sind asylrechtlich völlig unerheblich. Sollte es dabei zu Ausfälligkeiten einzelner Soldaten durch Schläge gegenüber dem Antragsteller gekommen sein, kann dies ebenfalls zu keiner anderen Bewertung des Asylbegehrens führen. Daß einzelne Amtsinhaber ihre Befugnisse überschreiten und es zu Entgleisungen Einzelner kommen mag, ist niemals — auch in keinem anderen Rechtsstaat — ganz auszuschließen. Der Antragsteller hatte jederzeit die Möglichkeit, gegen den Amtsmißbrauch und die Körperverletzung nach §§ 228 ff und 245 des türkischen Gesetzbuches gerichtlich vorzugehen. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß gewisse 'landesübliche Gepflogenheiten' hierbei durchaus eine gewisse Rolle spielen. Derartige Willkürmaßnahmen sind jedenfalls nicht darauf gerichtet, den Antragsteller wegen seiner Volkszugehörigkeit in asylrechtlich relevanter Weise zu treffen.“
Den Haftrichter interessiert Mehmets Asylbegründung nicht mehr. Mehmet wird drei Tage später in einem Flugzeug nach Istanbul sitzen. Claudia wird hinterherfliegen, denn sie will nun in der Türkei heiraten. Wenn sie Mehmet dort findet. Justus
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