„Nichts zum Streicheln da“

Wer dieses Jahr noch keinen Höhepunkt hatte, kam auch auf dem zweiten Hurenball am Samstag abend im Tränenpalast nicht auf seine Kosten  ■ Von Barbara Bollwahn

Berlin. Zweiter Hurenball in Berlin: endlich eine Gelegenheit, die sündhaft teure handbestickte Seidenunterwäsche – Geschenk von Mutter letztes Jahr zu Weihnachten, das Vater das Schlimmste für die Zukunft der Tochter befürchten ließ – auf der Haut zu spüren. Halterlose schwarze Strümpfe, die ein heißer Blick allein zerreißen könnte, und ein Dekolleté, tief und schamlos wie die Gedanken an die bevorstehende Nacht ...

Eine Frau mit blonden langen Haaren windet sich auf einem von zwei Frauen von Hand gedrehten Plüschpodest im Takt zu „Je t'aime“. Mit französischem Akzent spricht sie zu den Männern: „Nimm deinen Schwanz in die Hand“, „Zeig ihn mir“, „Ist er hart und groß?“, „Massier mal schön. Ja, und jetzt kräftiger.“ „Ah, c'est bon.“ „Komm, gehen wir auf mein Zimmer, ich nehm' ihn in den Mund, und wir machen es französisch. Komm doch nicht gleich. Wir haben viel Zeit. Kommt es schon, ja?“ Unter wildem Stöhnen haucht die blonde Schönheit: „Es war sehr schön mit dir, Schatzi. Au revoir chéri.“

Das fanden auch viele der anwesenden Herren, deren Hosen sich beim Anblick der stöhnenden Hydra-Frau wölbten. So richtig feucht wurde der Abend unter dem Motto „Beruf: Hure“ jedoch nicht. Es war die von den Freunden und Sympathisanten von Hydra zugunsten ihres neugegründeten Vereins organisierte „schräge, schrille, dekadente und rauschende Ballnacht“, die in die Hose ging, sonst nichts. Viele Schaulustige waren in den mit fliegenden Penissen ausgestatteten Saal, den man durch eine meterhohe wulstige Vagina betrat, gekommen, um wie ein fünfzigjähriger Sachverständiger für Kunst und Antiquitäten „eine Studie zu betreiben“.

Viel zu hohe Erwartungen

Keiner wollte seine Enttäuschung so richtig zugeben. Die „zu hohen Erwartungen an den Abend“ seien schuld, daß man sich wie auf einer „alternativen Tombolaveranstaltung“ fühlte, wie der vierzigjährige Verwaltungsmitarbeiter aus dem Ruhrgebiet meinte, der nach Leipzig „zwangsversetzt“ wurde und sich in Berlin ein schönes Wochenende machen wollte. Die „fremde Situation“, die ihm „Konzentration und Anspannung abverlangte“, wurde durch die „öffentliche Präsenz der Medien“ nicht gerade entspannter.

Einem hat der Abend aber ganz sicher gefallen: dem 66jährigen Rentner aus dem 70 Kilometer entfernten Neuruppin, der in einem Provinzblättchen im Norden des Landes vom Hurenball in Berlin gelesen hatte. Trotz hoher finanzieller Belastungen für Hauskredit und Heizungseinbau war er bereit, „ein paar Tage zu hungern“, um den happigen Eintrittspreis von 69 Mark zu berappen. Es traf sich gut, daß Willy Brandt just am gleichen Tag zu Grabe getragen wurde. So konnte Siegfried S. das eine mit dem anderen verbinden. Da das Geld nicht für ein Hotel reichte, setzte er all seine Hoffnungen auf den Puffgewinn der Tombola: „Wenn ich den gewinne, dann weiß ich, wo ich heute nacht unterkomme.“ Er war aber nicht der einzige, der auf diesen Gewinn scharf war. Vier Ehefrauen auf der Suche nach einem geeigneten Weihnachtsgeschenk für die Gatten griffen tief in den mit Losen gefüllten Sektkühler.

Aus dem Prostituierten- und Zuhältermilieu waren offensichtlich nur sehr wenige gekommen. Der 34jährige Walter mit offenem schwarzem Hemd und schweren Goldketten auf der behaarten Brust, der sich nach langem Überlegen schließlich als Kaufmann ausgab, wachte aufmerksam über die mit weißer Federboa, kleinem Schwarzem und Monroe-Schmollmund ausgestattete 26jährige Victoria aus Moskau. Er gab zwar zu, „die Szene zu kennen“, aber „viele würden aus Angst vor Kameras und Presse nicht kommen“.

Kühe lecken Schwänze

Die Schwarzweiß-Trickfilme, in denen gegen 2 Uhr kleine Männchen ihre riesigen Schwänze durch Löcher in Holzzäunen steckten und von Kühen lecken ließen, wurden eher gelangweilt zur Kenntnis genommen. Der nicht erreichte Höhepunkt des Abends war längst überschritten. Siegfried aus Neuruppin war einer der wenigen wirklich Zufriedenen. Beim Bauchtanz hatte er sich seines kunstfellgefütterten Anoraks schon längst entledigt und das karierte Hemd hochgekrempelt: „Da brauche ich gar nicht nach Istanbul zu fahren. Nur schade, daß nichts zum Streicheln da ist.“ Als ihm dann gegen 3 Uhr klar war, daß sich „nichts mehr mit einer Frau ergeben würde“ und der Puffgewinn nicht an ihn gegangen war, war er froh, bis zur Abfahrt des Zuges 6.47 Uhr „wenigstens ein Dach überm Kopf zu haben“.

Und die Tochter, die letztes Jahr zu Weihnachten von der Mutter eine geile Seidenunterwäsche geschenkt bekam, die den Vater für deren Zukunft in der Hauptstadt schwarzsehen ließ, machte sich mit ihren hauchdünnen Strümpfen und dem tiefen Dekolleté auf den Weg nach Hause. Letzte Hoffnung: der Freund im heimischen Schlafzimmer.