: Kurze Waffenruhe für eine Stippvisite
■ Bei dem Besuch des UNO-Berichterstatters Mazowiecki herrschte im bosnischen Mostar gespenstische Ruhe
Für die Dauer des Besuchs sollten die Waffen schweigen, so hatte der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic „fest versprochen“, wie es im Vorfeld der Visite des UNO-Sonderberichterstatters über die Menschenrechtssituation in Ex-Jugoslawien hieß. Als Tadeusz Mazowieckis Delegation, begleitet von einigen Journalisten, eintrifft, liegt Mostar tatsächlich friedlich in der noch warmen Mittagssonne. Grabesstille. Bis auf ein paar kroatische Soldaten, die zwischen den zahlreichen völlig zerstörten Gebäuden herumlungern, sind die Straßen wie ausgestorben. Auch im Innern der Wohnhäuser und Geschäfte scheint kein Leben mehr zu sein. Tatsächlich, erklären die Soldaten, befände sich von den ursprünglich 100.000 Einwohnern jedoch noch rund die Hälfte in der Stadt.
Leben ist allerhöchstens in der einst wunderschönen, von Touristen überlaufenen Altstadt zu entdecken: Auf der berühmten Steinbrücke herrscht reger Fußgängerverkehr. Männer in Uniform kehren von Wachpatrouillen am Fuß der Bergkette zurück. Ihre Ablösung marschiert in die entgegengesetzte Richtung. Fast alle tragen Gewehre auf dem Rücken. Die wenigen Frauen servieren den Soldaten in den notdürftig wiederhergerichteten Cafés auf der Altstadtgasse Getränke und Pitas, aus Lautsprecherboxen dröhnen Schlager in arabischer Sprache. Scheinbar ohne Grund bricht ein Streit aus. Ein Soldat zieht seine schwere Armeepistole und richtet sie auf einen Cafébesitzer. Zwei seiner Kameraden entreißen ihm die Waffe. Als ich mich hinsetze und einen Tee bestelle, meint einer der Soldaten lachend, just an dieser Stelle habe vor drei Wochen auch der Mitarbeiter einer deutschen Hilfsorganisation gesessen, als ihn der Splitter einer serbischen Artilleriegranate tödlich traf.
Gegen halb sechs – Mazowieckis Delegation ist noch in der Stadt – zischen die ersten Artilleriegranaten über die Bergkuppe und schlagen wenige hundert Meter von unserem Standort ein. Der Beschuß dauert nicht lange und ist weit weniger schwer als etwa in den letzten Wochen in Sarajevo. Doch für eine Zermürbungsstrategie reicht es völlig. Genug, um den bereits Vertriebenen den Gedanken an eine Rückkehr nach Mostar völlig zu vergällen und um die, die noch in der Stadt ausharren, auch noch zu vertreiben. Auch der UNO-Sonderberichterstatter hat genug und versucht erst gar nicht, den Helden zu spielen. Auf den eigentlich geplanten Besuch eines von den Kroaten verwalteten Lagers mit serbischen Gefangenen in Konjic, 60 Kilometer nördlich von Mostar an der Straße nach Sarajevo gelegen, verzichtet er. Von der Straße wurde in den letzten Tagen mehrfach Artilleriebeschuß gemeldet. Und da die UNO- Truppe UNPROFOR Mazowieckis Delegation keine gepanzerten Fahrzeuge zur Verfügung gestellt hat, reist sie in zwei simplen Geländewagen.
So sieht Mazowiecki an diesem Tag lediglich das Gefängnis von Mostar, in dem die Kroaten 200 serbische Einwohner der Stadt inhaftiert haben – 80 Frauen und 120 Männer. „Sie leben unter einigermaßen zufriedenstellenden Bedingungen“, stellt der UNO-Sonderberichterstatter nach seinem Besuch fest, bei dem er ungehindert und ohne Anwesenheit kroatischer Zeugen mit einigen Gefangenen sprechen konnte. Zwei Stunden später, bei einer Begegnung mit dem bosnischen Kroatenführer Mate Boban in dessen Hauptquartier Grude, verspricht dieser Mazowiecki die Freilassung der 200 Inhaftierten in Mostar bis zum nächsten Mittwoch. Auch die weiteren 480 Serben, die sich nach Bobans Angaben noch in kroatischer Gefangenschaft befinden, sollen bis dahin entlassen werden. Mazowiecki sieht darin „ein gutes Zeichen“. Andreas Zumach, Mostar
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