Der fromme Karrierist

Egidius „Pater“ Braun ist heute beim DFB-Bundestag in Berlin einziger Kandidat für die Präsidentschaft/ Ein Mann mit vielen Eigenschaften  ■ Von Bernd Müllender

Aachen (taz) – Sonntagmorgen kurz nach 11 Uhr: Heilige Messe in der Kapelle des kleinen St. Augustinus Klosters im Aachener Vorort Walheim. Wir singen jetzt in F- Dur das Lied 405: „Selig seid Ihr, wenn...“. Die Akkorde an der kleinen Eckorgel schlägt, wie an den meisten Sonntagen, der Mann an, der heute zum Präsidenten des Deutschen Fußballbundes (DFB) gekürt werden soll: Egidius Braun. Doch beim Auftritt in der Kirche denkt der Hobbymusiker nicht daran und will auch nicht darüber reden. Er herzt die Ordensschwestern („Das sind meine besten Freundinnen“), scherzt kurz mit zwei armen Seelen im Rollstuhl und begrüßt eine alte Fußballgröße der Region. Zum Abschied winken ihm zwei betagte Damen hinterher. Solcher Kontakt gefällt dem Mann mit dem Spitznamen Pater Braun; eigentlich sei er sogar, sagt er, „irgendwie ein Alternativer“ mit seinem gern demonstrierten Spagat zwischen Kirche und Kicken. Und winkt lachend zurück.

Der 67jährige mit dem ungewöhnlichen Vornamen (Egidius leitet sich aus dem Altgriechischen ab: Ägis = der Schild des Zeus; Ägidius = der Schildhalter) gilt als harmoniebedürftig, gütig, charmant, ausgleichend, ganz frohsinniger Rheinländer mit sonnigem Gemüt, der auch auf der Klaviatur der Diplomatie stets die richtigen Tasten zu treffen versteht. Seine Hobbies weisen ihn als überzeugten Patrioten aus: Skatspielen, Kegeln (im Club „Die Goldene 13“), die Jagd (hier prozessiert er gerade mit heimischen Grünrockkameraden gegen die städtische Jagdsteuer) und besonders klassische Musik deutscher Herkunft. In Brauns edlem Aachener Domizil steht der Flügel mitten im Wohnzimmer und nach Empfängen und Feiern mit Freunden wird gern ein gemeinsam Lied angestimmt.

Egidius, der freundliche fromme Mensch aus Aachen. Doch wehe, wenn Zeus die Ägis schüttelt, dann folgen, wie Homer einst schrieb, Unwetter und Wolken, Blitz und Donner, und der Schildhalter gerät ins Wanken. Im März 1992 etwa, da lief Egidius Sturm: Die Bunte Liga Aachen, größte DFB-ferne Alternativliga der Republik, hatte gerade den Papst als Ehrenmitglied gewinnen können, als Verbündeten „gegen die arg unchristlichen Entwicklungen im Fußball“. Katholik Braun wurde rebellisch und überlegte gar, sich bei der Deutschen Bischofskonferenz zu beschweren.

In der Tat hat Egidius Braun auch andere Seiten, fernab vom Klischee DFB-Funktionär Marke Sonnenschein und Sozialengagement (Braun ist Mitinitiator der Aktionen Mexiko-Hilfe und „Keine Macht den Drogen“). Ohne das notwendige Maß an Bauernschläue und Gerissenheit, Taktik und Tatkraft, Verhandlungshärte und das rechtzeitige Knüpfen verbandsinterner Seilschaften hätte Braun nicht zum Intimus und letztlich unumstrittenen Kronprinzen des Machtmenschen Hermann Neuberger aufsteigen können.

Beruflich hatte Braun Durchsetzungsvermögen und eine ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit schon gleich nach dem Krieg bewiesen. Den elterlichen Betrieb („Kartoffel Braun“, in Aachen eine Institution) brachte der junge Egidius mit Schubkarre und Schmuggeltouren über die nahe Benelux-Grenzen schnell auf Vordermann. Heute gibt das Handelsregister Auskunft über Beteiligungsgesellschaften und Tochterfirmen der WLV Landhandel Egidius Braun GmbH, Stammkapital zuletzt immerhin 13,5 Millionen Mark.

Die Funktionärskarriere des Kaufmanns Braun (Berufsbezeichnung heute: Vermögensberater) hatte zunächst makellos begonnen. 1951, mit gerade 26 Jahren, war Egidius Braun („Funktionär ist für mich kein Schimpfwort“) zum Präsidenten seines Heimatclubs SV Breinig in der Voreifel gekürt worden. Der erste Einstiegsversuch in die Verbandshierarchien geriet jedoch, noch in den fünfziger Jahren, zu einem argen Flop: Aufsteiger Braun scheiterte beim Versuch, den damaligen Aachener Kreisvorsitzenden von seinem Posten zu putschen.

Später lief Brauns Laufbahn besser an: Endlich Kreisvorsitzender als der Vorgänger verstarb, seit 1972 Chef des Verbandes Mittelrhein, 1977 DFB-Schatzmeister, seit letztem Juni obendrein Vize- Präsident der UEFA. In der Frankfurter DFB-Zentrale lernte „der Edi“ schnell die Gesetze der Zunft. „Er kann sich“, sagt ein Freund, „jeder Situation anpassen – sei es ein Empfang beim spanischen König oder sei es ein Plausch mit einem Straßenkehrer.“ Dabei liebt Braun die Rolle im Hintergrund: Wenn er auf dem Tivoli die Aachener Alemannia besucht, zieht es ihn nicht auf die Ehrentribüne zu den Heimat-VIPs, sondern er hockt sich hinter eines der Tore auf das Bänklein des Ordnungsdienstes. Und Braun versteht es meisterhaft, Pannen und Peinlichkeiten schönzureden. Als Franz Beckenbauer 1986 öffentlich androhte, einem mexikanischen Journalisten an die Gurgel zu gehen, war es WM-Delegationsleiter Braun, der den erregten Kaiser zur Entschuldigung überredete. Diese verkaufte er dann als „mannhaft, eine Mannestat, einfach großartig“.

Brauns Fußballfaible gilt, so stellt er sich dar, der beschaulichen Basis der Ehrenamtlichen, nicht aber dem harten Business. „Über die 700 Millionen für die Fernsehrechte sollte man gar nicht so ein Aufhebens machen.“ Sprach's und packte das Gebetbuch ein, stieg in seine Audi-Limousine und teilte zum Abschied seinen Terminplan mit: Erst zum Mittagessen im Kreise der Familie und dann Richtung Aschenplatz zum Spiel einer Reservemannschaft in der Kreisliga C. So möchte der umtriebige Christ Egidius Braun gesehen werden: Väterlicher Freund von elf Freunden statt Herr über 5,3 Millionen Vereinskicker und damit weltweit mächtigster Funktionär eines Einzelsportverbandes.