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Steuerdebatte hinter Europafähnchen

CDU-Parteitag in Düsseldorf soll über Steuererhöhungen ab 1995 beschließen/ Sie sind nun doch notwendig, räumt die Parteiführung ein  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Zwischen Tür und Angel werden die 1.000 Delegierten am Mittwoch über das Thema befinden, um das es eigentlich geht: Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit. Das offizielle Motto des CDU-Parteitags, der von Sonntag bis Mittwoch in der Düsseldorfer Stadthalle tagt, lautet ganz anders: „Wir gewinnen mit Europa“, propagiert die CDU, und um das deutlich zu machen, soll sich der Parteitag den ganzen Dienstag lang mit Maastricht beschäftigen. Dem Aufbau der Wirtschaft im Osten will die Parteiführung dagegen nur ein paar Stündchen am Mittwoch vormittag widmen, zusammen mit einem Grußwort von CSU-Chef und Finanzminister Theo Waigel und „sonstigen Anträgen“.

„Wir verlieren mit der deutschen Einheit“ hätte sich als Leitmotiv selbstverständlich schlecht geeignet. Die sorgsam ausgeklügelte Regie droht der Parteiführung nun dennoch zu entgleiten. Schon gestern wurde bekannt, was die CDU eigentlich bis Sonntag unter der Decke halten wollte: Ab 1995 sind Steuererhöhungen „notwendig“, so der noch eilends von einer Kommission vorbereitete Leitantrag. Anders lasse sich die Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich nicht finanzieren, ganz zu schweigen von dem 1995 erwarteten 400-Milliarden-Schuldenberg, den die Regierung gerne als „SED-Erblast“ bezeichnet, der aber vor allem die Defizite umfassen wird, die die Treuhand seit der Währungsunion aufgehäuft hat.

Gegen die Absicht, diese häßlichen Dinge hinter dem europäischen Banner zu verstecken, hatten die ostdeutschen Delegierten schon im Vorfeld des Parteitags einmütig protestiert. Der thüringische CDU-Chef Willibald Böck fand es „schlimm“, daß für die Probleme Ostdeutschlands nur der letzte Tag bestimmt wurde. Es „brodele“ bereits an der Basis im Osten, warnte der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern.

Seit gestern scheint klar, daß auf der Forderung nach Steuererhöhungen inzwischen auch der Segen des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers ruht. Abgesehen davon, daß die bittere Wahrheit früher oder später sowieso nicht mehr hätte verschwiegen werden können, kann sich nun der Arbeitnehmerflügel in der Partei gestärkt fühlen. Die CDU stehe dafür ein, „daß die Lasten gerecht verteilt werden“, wird in dem von Generalsekretär Peter Hintze erarbeiteten Leitantragsentwurf versichert.

Rainer Eppelmann, brandenburgischer Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Sozialausschüsse, ist sich ganz sicher, daß durch den Einfluß der Ostdeutschen der „Arbeitnehmerflügel gestärkt“ auftreten kann. Überschätzt werden sollte dieser Einfluß allerdings nicht. Nur 151 der 1.000 Delegierten kommen aus den ostdeutschen Landesverbänden. 102.000 der 762.000 Mitglieder sind dort organisiert. Ein Gradmesser ihres Gewichts dürften die Wahlen zum Bundesvorstand sein, die für Montag angesetzt sind. Solange es noch um die Abstimmung über den Parteivorsitz geht, ist nur eine Frage interessant: wie groß die Einbußen an Jastimmen sein werden, die Helmut Kohl gegenüber seinem SED-Ergebnis von vor zwei Jahren erleiden muß. Daß er erneut 98,5 Prozent erhält, ist unwahrscheinlich. Richtig spannend wird es jedoch bei der Wahl seiner vier Stellvertreter. Denn entgegen aller üblicher christdemokratischer Praxis bewerben sich in Düsseldorf mit fünf Kandidaten mehr Anwärter, als es Plätze gibt.

Der Störenfried, der eine Blockwahl verhinderte, ist der sächsische Innenminister Heinz Eggert. Allzugroße Chancen hat er jedoch nicht: nicht gegen den Verteidigungsminister und derzeit strahlendsten Kohl-Kronprinzen Volker Rühe, nicht gegen den Stuttgarter Ministerpräsidenten Erwin Teufel und Arbeitsminister Norbert Blüm, weil sich deren mitgliederstarke Landesverbände Baden- Württemberg und Nordrhein- Westfalen schon abgesprochen haben, und auch nicht gegen Jugendministerin Angela Merkel. Über ihr schwebt immer noch die schützende Hand des Kanzlers – während Eggert unlängst vor Majestätsbeleidigung nicht zurückschreckte. Es dürfe nicht sein, moserte er öffentlich, wenn mit Kohl immer nur eine Person im Vordergrund stehe.

Die Ostdeutschen sind eine Minderheit, und doch bestimmen ihre Probleme die Stimmung und die inoffizielle Agenda des Parteitags. Sosehr die Europäische Union in Westdeutschland heiß diskutiert wird, sowenig haben die Ostdeutschen zu diesem Thema beizutragen. Aus ihren Landesverbänden gab es dazu kaum Anträge.

Ex-Generalsekretär Heiner Geißler wird vom Krankenbett verfolgen müssen, ob ihn der Parteitag in das Präsidium wählt. Aber schon vorher kann er sich ausrechnen, daß die traditionellen, „weichen“ Themenfelder der CDU- Modernisierer auf der „Out“-Liste stehen: Etwa die Rechte der Frauen, der Minderheiten, der Ausländer. Einen fast schon verzweifelt anmutenden Versuch will die Junge Union starten – und einen Antrag für ein Zuwanderungsgesetz einbringen. Eine rationale Einwanderungspolitik sei doch „kein Teufelszeug“, meint JU- Chef Hermann Gröhe und weist darauf hin, daß eine Änderung des Asylrechtsartikels im Grundgesetz allein die Einwanderungsproblematik nicht lösen kann. Aussichten, angenommen zu werden, hat der Antrag freilich nicht. „Über dieses Thema“, so unlängst Erwin Teufel, könne man „heute, wo wir 500.000 Asylbewerber in einem Jahr haben, mit den Bürgern nicht reden. Das geht erst, wenn wir das Asylproblem im Griff haben.“

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