: Eskalation der Kämpfe im Südlibanon
■ Israelische Offensive im Libanon/ Bodentruppen, Luftwaffe und Marine beteiligt/ Luftangriffe bis ins syrisch kontrollierte Bekaa-Tal ausgedehnt/ Raketenbeschuß libanesischer Milizen auf Nordisrael
Tel Aviv/Tyrus (taz/AP) – Israelische Kampfflugzeuge haben ihre Angriffe gestern auf das von Syrien kontrollierte libanesische Bekaa-Tal ausgedehnt. Nach Berichten libanesischer Rundfunksender war die Umgebung der Stadt Kob Elias das Ziel der Luftwaffe. Das nordöstlich von Beirut gelegene Tal ist eine Hochburg der schiitischen Hizbollah. In der Region sind syrische Truppen stationiert. Zuvor hatten sich die israelischen Luftangriffe vor allem auf den Süden Libanons konzentriert.
Ministerpräsident Rabin gab den Befehl, libanesische Dörfer, in denen die Hizbollah präsent ist, mit Artilleriefeuer zu belegen, um die Bevölkerung in die Flucht zu schlagen. Das soll zu einem libanesischen und syrischen Druck auf Hizbollah führen, Angriffe auf israelische Ziele im besetzten Südlibanon und in Nordisrael zu unterbinden. Bereits am Montag sei vorgesehen gewesen, den intensiven Artilleriebeschuß libanesischer Dörfer sowie die Luftangriffe im Libanon auch am folgenden Tag fortzusetzen, berichtete die israelische Tageszeitung Ha'aretz. Die israelische Regierung werde sich wahrscheinlich mit der Forderung an das Pentagon wenden, die Syrer dazu zu bringen, sich von der Hizbollah zu distanzieren.
Nach Meldungen der im Südlibanon stationierten Truppen der Vereinten Nationen feuert Israels Artillerie nonstop im Durchschnitt 200 Kanonengeschosse pro Stunde in Richtung der libanesischen Dörfer, die nördlich der „Sicherheitszone“ liegen, während israelische Kampfflugzeuge und Hubschrauber mit Raketen und Bomben operierten. Mindestens zwanzig libanesische Dörfer befanden sich unter israelischem Beschuß. Die Bewohner wurden von der libanesischen Polizei angewiesen, sich in Sicherheit zu bringen.
Sechs israelische Kriegsschiffe griffen außerdem palästinensische Flüchtlingslager an, die ungefähr 180 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze und nur 15 Kilometer vor der libanesisch-syrischen Grenze liegen. Es gab Tote und Verletzte, die Anzahl der Opfer war nicht bekannt. Nach Angaben des libanesischen Rundfunks galten die Angriffe u.a. den Lagern Baddawi und Nahr al Bared bei Tripoli. Die Bevölkerung der libanesischen Stadt Nabatije, 50 Kilometer südlich von Beirut, mußte die Nacht zum Dienstag in Schutzräumen verbringen.
Milizen im Südlibanon reagierten gestern mit Raketenbeschuß auf die libanesisch-israelische Grenzzone. In der nordisraelischen Stadt Kiriat Schmonah kam dabei ein Israeli ums Leben, und vier andere Mitglieder seiner Familie wurden verletzt. Die Bewohner von Kiriat Schmonah und Umgebung befinden sich angesichts der gespannten Lage bis auf weiteres in Bunkern. Ein Hizbollah- Funktionär erklärte anschließend, seine Organisation sei für den Raketenbeschuß auf Nordisrael nicht verantwortlich. Angesichts der heftiger werdenden israelischen Angriffe gab die Organisation gestern eine Generalmobilmachung ihrer mehrere tausend Kämpfer umfassenden Milizen bekannt.
Die israelische Regierung macht kein Geheimnis daraus, daß sie massive Truppenbewegungen in den besetzten Südlibanon befohlen hat. Ministerpräsident und Verteidigungsminister Rabin habe der Armee am Montag persönlich den Befehl erteilt, die libanesische proiranische Hizbollah zu vernichten, teilten Sprecher mit. Ha'aretz berichtete, daß Rabin bei einem Besuch an der libanesischen Front auf ein Schild im Büro des Norddistrikt-Kommandanten hinwies, auf dem geschrieben steht: „Unser Ziel ist die Verteidigung der Siedlungen im Norden.“ „Paßt auf“, habe er den Spruch kommentiert, „das ist zwar das Ziel. Aber jetzt haben wir noch ein Ziel: Hizbollah zu vernichten.“
Die israelische Regierung versucht durch die schweren Angriffe im Libanon auch der politischen Opposition im eigenen Land den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die rechten Oppositionsparteien haben Rabin beschuldigt, gegenüber „den Arabern zu nachgiebig“ zu sein. Der Leiter der israelischen Delegation bei den Washingtoner Verhandlungen mit Syrien, Itamar Rabinovich, erklärte, daß er es vermieden habe, die Hizbollah-Problematik im Rahmen der Gespräche aufzuwerfen. Die syrische Seite hätte sonst ihrerseits Themen angeschnitten, die Israel aus den Verhandlungen heraushalten möchte. Die Regierung ist nicht daran interessiert, Syrien die Möglichkeit zu geben, die Lage im Libanon in die bilateralen Verhandlungen einzubeziehen. Sie wünscht außerdem keine Diskussion über die besetzten Gebiete und die Palästinenser im Rahmen der Verhandlungen mit Syrien. Amos Wollin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen