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Halb Westafrika führt in Liberia Krieg

Die Interventionstruppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft in Liberia (ECOMOG) geht in die Offensive/ Zwei Regierungen, viele Armeen und kein Ende der Eskalation  ■ Von Dominic Johnson

Die Bilder gleichen sich. Luft- und Artillerieangriffe auf liberianische Städte; Tausende von Zivilisten, die auf der Suche nach einem sicheren Ort herumziehen; eine Vielzahl von Bürgerkriegsarmeen, deren Haß von Erinnerungen an vergangene Greueltaten genährt wird; massive ausländische Einmischung. Der seit einigen Wochen neu ausgebrochene Krieg im westafrikanischen Liberia ähnelt fatal jenem, der offiziell am 28. November 1990 zu Ende ging. Davor waren in elf Monaten Kampf an die 15.000 Menschen ums Leben gekommen, ein Drittel der Bevölkerung befand sich auf der Flucht, und das Land hatte keine funktionierende Regierung mehr. Die sich jetzt bekämpfenden Gegner sind seit dem damals geschlossenen Waffenstillstand im wesentlichen dieselben geblieben.

Da ist einerseits die international anerkannte Regierung Liberias, angeführt von dem Akademiker Amos Sawyer. Er war im August 1990 aus dem US-Exil nach Gambia gereist und hatte sich von 22 anderen Exilanten in einer Villa der Hauptstadt Banjul zum Präsidenten einer nur auf dem Papier bestehenden Regierung ernennen lassen. Seine hartnäckige Lobbyarbeit bewog kurz darauf die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), ihn mit einer Schutztruppe von 7.000 Soldaten aus Nigeria, Ghana und anderen Staaten der Region nach Liberia reisen zu lassen und sich in der dortigen Hauptstadt Monrovia zu etablieren. Seitdem residiert er dort im Hotel „Ducor“ und kontrolliert mit seiner Schutzmacht, der westafrikanischen Interventionstruppe ECOMOG, vier Fünftel der Stadt. Kraft seiner internationalen Anerkennung hat er seinem Herrschaftsgebiet internationale Hilfe, ein funktionierendes Bankenwesen und eine ungewohnte Pressefreiheit gebracht.

Die andere Regierung Liberias beherrscht nahezu den gesamten Rest des Landes. Ihr Präsident Charles Taylor, dessen Guerillatruppe „Nationalpatriotische Front“ (NPFL) im Dezember 1989 mit Angriffen auf die Armee des damaligen Staatschefs Samuel Doe den liberianischen Bürgerkrieg begann, residiert samt Kabinett und Parlament in der Stadt Gbarnga. Im August 1990 stand er nur einen Fußbreit entfernt vom Sieg: Seine Truppen hatten große Teile der Hauptstadt besetzt und warteten gegenüber dem Präsidentenpalast, auf der anderen Straßenseite, auf den Befehl zum finalen Vorstoß. Auf Drängen der USA erklärte sich Taylor damals doch zum Rückzug bereit. „Ich machte einen schrecklichen Fehler“, sagt er dazu heute. Anschließend vertrieb ihn die ECOMOG in schweren Kämpfen aus der Stadt und ließ zu, daß die Restarmee des geschlagenen Samuel Doe nicht völlig aufgerieben wurde, nachdem Doe selbst von einem anderen Guerillachef, Prince Johnson, zu Tode gefoltert worden war. Der Waffenstillstand vom 28.11. beendete dann schließlich die Kämpfe zwischen Taylors NPFL und den Westafrikanern. Das Land wurde faktisch aufgeteilt, eine Demarkationslinie rings um Monrovia eingerichtet. Im Rest-Liberia konnte Taylor seitdem nach Gutdünken schalten und walten, was auch massive Abholzungen in den Tropenwäldern und den Ausverkauf natürlicher Reichtümer gegen Devisen zwecks Waffenkaufs beinhaltete. Im April 1992 hielt Taylor in Gbarnga eine „Nationalkonferenz“ ab, die ihn zum Präsidenten einer „Nationalpatriotischen Wiederaufbauregierung“ ernannte.

Zwei Regierungen – und zwei westafrikanische Lager. Sawyer überlebte in Monrovia dank der von Nigeria kommandierten ECOMOG-Truppen. Auf seiner Seite standen die Regierungen der westlichen Nachbarn: Sierra Leone, Guinea, Senegal, Gambia. Taylor genoß den Wohlwollen der Nachbarstaaten auf der anderen Seite – Elfenbeinküste und Burkina Faso. Sawyer beschuldigte Burkina Faso, die Taylor-Milizen auszubilden. Taylor beschuldigte Guinea und Sierra Leone, die einstige Regierungsarmee Samuel Does unter dem Namen „Vereinigte Befreiungsbewegung“ (ULIMO) am Leben zu halten.

Ein Gegensatz mit fatalen Folgen. Wenn im November 1990 kein Waffenstillstand geschlossen worden wäre – der Nigerianer an der Spitze von ECOMOG hätte Taylor immer weiter in den Busch gejagt, wie er selbst seitdem eingestand. Der danach herrschende Friede konnte das gegenseitige Mißtrauen nie ausräumen. Denn alle auf den regelmäßigen Liberia- Friedenskonferenzen von 1991 und 1992 erarbeiteten Regelungen basierten auf der Prämisse, die ECOMOG sei neutral: Sie sollte die Truppen Taylors und der anderen Kriegsführer entwaffnen und freie Wahlen ermöglichen. Doch da sie Charles Taylor nie als einen Amos Sawyer ebenbürtigen Gesprächspartner anerkannte, glaubte niemand an eine reale Gleichbehandlung.

Als daher im April dieses Jahres die ECOMOG begann, ihren Aktionsradius, wie vorgesehen, auf ganz Liberia ausdehnen zu wollen, war dies also in Wirklichkeit Feindberührung: Die Demarkationslinie war durchbrochen, das Spiel um Liberias Zukunft war wieder offen. Charles Taylor weigerte sich, seine Soldaten entwaffnen zu lassen, Zusammenstöße zwischen ECOMOG- und NPFL- Einheiten häuften sich. Offene Streitereien innerhalb der NPFL, zwischen militärischen und zivilen Flügeln wie auch zwischen islamischen und nicht religionsgebundenen Gruppen, verstärkten den Eindruck von Instabilität.

Auf dem Gipfel der „Organisation Afrikanischer Einheit“ (OAU) in Senegal Ende Juni waren die Fronten bereits klar. ECOMOG-Kommandant Bakut drohte der NPFL offen mit Sanktionen. Ein ECOWAS-Gipfel vier Wochen später gab Taylor ein 30-Tage-Ultimatum zur Entwaffnung seiner Truppen; andernfalls würde man sein Territorium blockieren.

Das Ultimatum verstrich – und Krieg brach aus. Über die Westgrenze Liberias fiel die ULIMO ein – Stammesangehörige und ehemalige Soldaten der früheren Doe- Armee –, unterstützt von der Militärregierung Sierra Leones, und nahm der NPFL zwei Provinzen ab. So erlebte Liberia im September und der ersten Oktoberhälfte eine Neuauflage des Bürgerkrieges von 1990. Im Laufe der Wochen verlagerten sich die Kämpfe immer weiter Richtung Monrovia. Die ECOMOG selber blieb zunächst passiv. Denn die Westafrikaner hatten sich gespalten: Benins Staatschef Soglo, amtierender ECOWAS-Präsident, hatte den Sanktionsbeschluß vom Juli einseitig suspendiert.

Der Wendepunkt im neuen Krieg war der 17. Oktober. An diesem Tag begann die NPFL, Monrovia zu beschießen und damit die ECOMOG direkt herauszufordern. Diese antwortete wenige Tage später mit „offensiven Verteidigungsaktionen“ – nigerianische Luftangriffe auf NPFL-gehaltene Städte.

Voll entbrannt sind die „Verteidigungsaktionen“ der mittlerweile durch nigerianische und senegalesische Verstärkungen auf etwa 8.000 Mann angewachsenen ECOMOG seit einer Woche. Am 22.September sollte in Benin ein westafrikanischer Krisengipfel zu Liberia beginnen. Aus Verärgerung über Benins Präsidenten wurde er von allen ECOMOG- Teilnehmern boykottiert. Gleichzeitig schaffte Nigeria Tatsachen: Während der Gipfel tagte, flog die ECOMOG Luftangriffe auf Taylors Regierungssitz Gbarnga.

Wie weit der neue Krieg gehen wird, hängt entscheidend von Nigeria ab, dessen Vizepräsident Aikhomu im April erklärte: „Liberia hat seine Souveränität verloren.“ Taylor, dessen Truppen jetzt vor den Toren Monrovias stehen, fordert mittlerweile den Einsatz von UNO-Friedenstruppen. Mittlerweile sind über 100.000 Flüchtlinge vor den Kämpfen am Stadtrand Monrovias in die Innenstadt gezogen, mehrere tausend Zivilisten im Land sollen bereits tot sein.

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