: Heiße Kämpfe, laue Stimmung
70. Deutsche Amateurbox-Meisterschaften in Karlsruhe/ Eklatante Dominanz der Faustkämpfer aus der einstigen DDR ■ Von Peter Putzing
Karlsruhe (taz) – Topniveau, Topkämpfe – und eine traurige Zuschauerresonanz bei den 70. Deutschen Meisterschaften im Amateurboxen in Karlsruhe. Gerade 4.500 Boxfans fanden an vier Kampftagen den Weg in die Europahalle. Vielleicht ein Grund: 18 der 24 Finalteilnehmer kamen aus den neuen Bundesländern – ihren Fans war der Weg ins Badische zu weit.
Besonders erfolgreich: der Schweriner SC. Sechs Boxer standen im Finale. Mit Andreas Zülow und Andreas Tews blieben zwei Fighter ungeschlagen, wobei Tews im Endkampf gegen Heiko Hinz boxte – seinen Klubkameraden und Freund. Auch im Leichtgewicht gab es eine Vereinsmeisterschaft. Hier traf Marco Rudolph, Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen, auf den zweiten Leichtgewichtler aus Cottbus: Sven Platzack. Der war jedoch ohne Siegchance und wurde von Rudolph sichtlich geschont.
Bundestrainer Helmut Ranze ist die Dominanz des Ostens keineswegs ein Dorn im Auge. Er wehrt sich vehement gegen Nivellierungsversuche. „Wenn die Boxer aus den alten Bundesländern aufholen, dann sinkt das Niveau. Die Voraussetzungen in der Ex- DDR sind einfach besser, diese lange erprobten, gewachsenen und erfolgreichen Strukturen müssen erhalten bleiben.“
Der Kampf der Kämpfe war das Duell zwischen Sven Ottke, dem von Berlin nach Karlsruhe gewechselten Europameister, und dem Weltmeister Torsten May (Frankfurt/Oder). Ottke gewann klar – so zeigte es die Punktmaschine. Aber viele in der Karlsruher Europahalle waren anderer Meinung, zumindest, was die Höhe der Wertung betraf: 21:7 für Ottke. May-Trainer Karl-Heinz Krüger wollte in der zweiten Runde sogar das Handtuch werfen, nachdem er von der Rundenwertung mit 5:1 für Ottke erfahren hatte: „Ich habe bald gemerkt, daß der Kampf gesteuert war“, ereiferte er sich nach dem letzten Gong. Auch Torsten May war in der Kabine nicht mit dem Urteil einverstanden: „International hätte ich diesen Kampf sicher gewonnen“, meinte er.
Sven Ottke war einer von acht neuen Meistern, wegen seines Gewichtsklassenwechsels vom Mittel- ins Halbschwergewicht, der allerdings kaum von Dauer sein wird. „Ich kann essen und trinken, was ich will. Die Klasse bringe ich einfach nicht. Torsten bleibt die Nummer eins“, resümierte Ottke trotz seines Sieges. „Es gab einen Meisterwechsel, aber keine Wachablösung. Die neuen Titelträger sind schon lange international etabliert“, stellte Helmut Ranze klar. Ihren Titel verteidigten Olympiasieger Andreas Tews, Weltmeister Marco Rudolph, Andreas Otto und der superschwere 2,04-Meter- Riese Andreas Schnieders aus Haselünne.
Der Sensationssieger des gesamten Turniers war jedoch der 17jährige Halbfliegengewichtler René Schultz vom Berliner SC. Schon im Halbfinale überzeugte Schultz und schlug den Titelverteidiger Paulos Stefanos entscheidend – und das, obwohl der Berliner der jüngste Boxer des Turniers war. Im Finale besiegte er den Bronzemedaillengewinner von Barcelona, Jan Quast aus Leverkusen, ebenfalls souverän. „Dabei wurden mir erst am Montag die Fäden aus der Schlaghand gezogen, die ich mir an einem Nagel beim Hallenfußball aufgerissen hatte“, freute sich der Berliner Juniorenmeister. Lohn für den Meistertitel: „Ich gehe mit meinen Eltern chic chinesisch essen.“ Insgesamt waren die Titelkämpfe hervorragend organisiert und von hohem Niveau. Eine Werbung für das Amateurboxen – leider allzu oft in einer sterilen Atmosphäre, mangels Zuschauermassen. Auch dem Olympiasieger und Deutschen Meister Andreas Tews gab dies zu denken: „In Halle, Ostberlin oder Schwerin gibt es wesentlich mehr Boxbegeisterte. Da sollte eine Deutsche Meisterschaft stattfinden!“
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