: „Ergebnisse können wir nicht bieten“
HBV-Gewerkschaftstag beginnt mit prasselnder Kritik an den Reform-„Sandkastenspielen“ des Vorstands/ Geschäftsbericht als Videoclip ein Flop ■ Aus Mainz Klaus-Peter Klingelschmitt
Die knapp 600 Delegierten des 13. Ordentlichen Gewerkschaftstages der Arbeitnehmervereinigung Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Mainz saßen gestern in der Rheingoldhalle erst einmal im Dunklen. Der Hauptvorstand mit dem Vorsitzenden Lorenz Schwegler an der Spitze präsentierte den Geschäftsbericht als Videoclip. Das war nicht ganz der richtige Einstieg: Der „Firlefanz“ koste nur Geld, das anderswo fehle, meinte etwa der Vorsitzende der HBV-Senioren aus Berlin unter dem Beifall des Auditoriums. Und ein Bankangestellter legte nach: „Wir wollen kein schönes Packpapier – und wir wollen keine von oben verordneten Reformen, die nur Sandkastenspiele sind.“ Der Applaus der Basis sorgte für vornehme Blässe in den Gesichtern der Vorständler auf dem Podium.
Die Basis reagierte mit offenem Mißtrauen auf die von der Unternehmensberatungsgesellschaft Com Team ausgearbeitete „geheime Strategie“ (so ein Delegierter) zur Reformation der Gewerkschaft. „Das Wort ,Strategiedebatte‘ kann doch in den Betrieben kein Mensch mehr hören“, meinte eine junge Delegierte aus Hessen beim Pausenkaffee. Und ihre neue Freundin aus Thüringen ergänzte: „Der ganze Gewerkschaftstag mit seinem peppigen Rahmenprogramm und dem neuen Outfit kostet uns rund vier Millionen DM. Die hätten wir im Osten für die Mitgliederwerbung gut gebrauchen können.“
100.000 Mitglieder hat die HBV im letzteh jahr verloren, unter anderem auch wegen des Arbeitsplatzabbaus im Osten, 650.000 sind noch in der Gewerkschaft organisiert.
Die Betriebsräte sind zornig: Hundert Hauptsekretäre beim Hauptvorstand – und nur 330 Betreuungssekretäre im gesamten Bundesgebiet. Das jedenfalls war für eine Delegierte aus Stuttgart während der Aussprache der Aufhänger für die mit donnerndem Beifall belobigte Forderung nach „tatsächlichen Strukturreformen von unten nach oben“ bei der Gewerkschaft HBV. Daß die vom Hauptvorstand angestrebte „Erneuerung“ nur gelingen könne, wenn sie von den Mitgliedern und Funktionären mitgetragen werde, konstatierte im schriftlichen Geschäftsbericht auch HBV-Chef Schwegler. Doch bis auf den Hinweis auf „verbesserte Kommunikations- und Veranstaltungsformen“ hatte Schwegler den Delegierten nichts an Resultaten der 1988 beschlossenen Strukturreform anzubieten: „Fertige Ergebnisse können wir nicht präsentieren.“
Vermißt wurden von den Delegierten auch politische Aussagen des Hauptvorstandes. Kein Wort zur Friedenspolitik. Und auch kein Wort zu dem auch in der eigenen Organisation zum Problem gewordenen Rechtsradikalismus: „Wo bleibt der Massenprotest unserer Gewerkschaft gegen die faschistische Blutspur. Und wo der Einsatz der Gewerkschaften für die bedrohten Ausländer?“
In Mainz hagelte es stundenlang Kritik am Hauptvorstand der HBV. Daß der zweite Mann an der Spitze der Gewerkschaft, Dieter Steinborn, kurz vor dem Gewerkschaftstag seinen Austritt aus der HBV erklärt hat, sorgte bei den Delegierten zusätzlich für Aufregung. Steinborn saß in den Aufsichtsräten von Karstadt, coop, Konsum, Rewe und KG Dortmund-Kassel und soll seine Tantiemen aus seiner Aufsichtsratstätigkeit in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Für Steinborn, der im Hauptvorstand das einflußreiche Ressort Handel vertrat, soll nach dem Willen der HBV-Spitze die 30jährige Susanne Hille für den Hauptvorstand kandidieren. Und das wiederum hat vor allem die Delegierten aus dem Osten auf die Palme gebracht. Susanne Hille war vor der Wende Betriebsgewerkschaftsleiterin bei der DDR- Staatsbank in Potsdam.
Die HBV-Spitze geht schweren Zeiten entgegen. Ein Delegierter resümierte das unglückliche Reformkonzept: „Lorenz Schwegler ist kein Vordenker, sondern ein Falschdenker!“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen