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Harte Landung auf der Erde

■ Sience-fiction-Minister auf Spartrip: Weltraumagentur läßt Götterboten stürzen

Berlin/Granada (taz) – Das Valles Marineris, ein tief zerklüfteter Graben auf dem Mars, mißt nahezu 5.000 Kilometer. Zu ihm soll unter anderem eine um die Jahrtausendwende geplante Mission durch das Planetensystem führen. Im Weltraumszenario des Bundesforschungsministers geht es wie in einem Science-fiction-Schmöker zu: überall wimmelt es von Raumstationen, polaren und geosynchronen Plattformen, Shuttles, Transfer-Fahrzeugen und interplanetaren Missionen.

Was immer aus dem Orbit auf irdisches Terrain kommt, mag sich Space-Minister Heinz Riesenhuber gedacht haben, kann sich einer besonderen Aufmerksamkeit erfreuen. Und er behielt recht: Trotz massiver Einwände und umstrittenen Nutzens hatte sich die Bonner Regierungskoalition von den extraterritorialen Visionen einfangen lassen: rund fünf Milliarden Mark will sich die Bundesrepublik den Vorstoß ins All bis 1996 kosten lassen.

Doch da Europas Kassenwarte täglich neue Notsignale funken, mußten nun auch die teuren Raumfahrtpläne der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) einer Revision unterzogen werden. Ein Viertel der Kosten wollen die 15 Mitgliedsstaaten einsparen und den Etat bis 1996 auf 21 Milliarden Mark begrenzen – so beschlossen es die zuständigen Minister am Dienstag abend im spanischen Granada. Bis zum Jahr 2000 sollen nunmehr rund 45,4 Milliarden Mark ausgegeben werden – rund sieben Milliarden weniger, als noch bei der letztjährigen ESA- Konferenz in München geplant.

Vor allem der bemannten Raumfahrt ging es in Granada an den Kragen: erstes Opfer der Sparpläne ist der 7,7 Milliarden Mark teure, aber nutzlastschwache Götterbote „Hermes“. Der von den US-Spaceshuttels geclonte europäische Raumgleiter wird auf Empfehlung aus Bonn vorerst auf die lange Bank geschoben.

In der dreijährigen Denkpause wollen die ESA-Futorologen eine mögliche Zusammenarbeit mit den orbitaltechnikerfahrenen Russen ausloten. Denn die haben ihren bereits fertiggestellten Raumtransporter „Buran“, der 15 Milliarden Rubel verschlang, seit 1988 in einer Montagehalle bei Moskau abgestellt; ein Double wartet startbereit im Weltraumbahnhof Baikonur. Mit russischem Know-how, so spekulieren Europas Raketenbauer, ließe sich ein kostengünstigerer Gemeinschaftsclipper nach Hermes-Vorbild zusammenbauen. Der Götterbote dürfte damit, trotz massiver französischer Einwände, wohl nie von der Startbahn abheben. Gleich mit abgestürzt ist die freifliegende Weltraumplattform MTFF (Man tended Free Flyer): Das automatisierte Raumlabor mit seinen ferngesteuerten Roboterarmen fiel ersatzlos dem Rotstift zum Opfer.

Doch trotz neuer Bescheidenheit greift die ESA noch immer nach den Sternen: das über fünf Milliarden Mark teure Weltraumlabor, im ESA-Jargon lieblos APM getauft, wird weitergebaut. Vor allem Riesenhuber hatte sich während der zweitägigen Konferenz vehement für dieses unter deutscher Federführung entwickelte Herzstück eingesetzt, das in ferner Zukunft einmal an die amerikanische Raumstation „Freedom“ angedockt werden soll. Aber auch die vom abgespeckten „Columbus“-Projekt einer eigenen bemannten Raumstation übriggebliebene APM-Laborkapsel könnte leicht ein Traumgerippe bleiben. In den USA herrscht nach wie vor keine Klarheit über Nutzung und Finanzierung der „Freedom“-Decks – ganz abgesehen von den unklaren Space-Missionen des neuen US-Präsidenten Bill Clinton.

Und selbst die APM-Kosten sind bislang nur zu knapp 90 Prozent gedeckt, nachdem Spanien und Frankreich vor der ESA-Konferenz ihre ursprünglich zugesagten Anteile verringert hatten. Deshalb mußte ESA-Generaldirektor Jean-Marie Luton die Gesamtkosten um fünf Prozent kürzen. Andere Delegationen erhöhten daraufhin ihre Beteiligungen, so daß am Ende die Gesamtfinanzierung als zu 98 Prozent gesichert galt. Der deutsche Anteil für das Modulstück beträgt rund 1,87 Milliarden Mark. Ab 1996, wenn alles reibungslos läuft, wollen sich die Europäer auch hier mit den Russen beim Bau der Raumstation „Mir-2“ zusammentun.

Selbst dem Lieblingskind der europäischen Raketeningnieure, dem Trägerraketenprogramm Ariane, droht Ungemach. Immer mehr Satellitentransporteure satteln von dem Modell 4 auf die billigere amerikanische Delta-Konkurrenz um. Der erste Start der mächtigen Superrakete Ariane 5 wird von den Raumfahrern daher bereits für 1996 ins Auge gefaßt. Das Ergebnis der Kostenrazzia: Deutschlands Spitzenforschern schlägt beim Kürzel ESA nicht gleich das Herz höher; der durch entgangene Rüstungsaufträge leidgeprüften Luft- und Raumfahrtindustrie winken keine magischen Zahlenwerke mehr. Doch die Visionen der Sience-fiction- Minister bleiben bestehen: Scotty, beam me up! Erwin Single

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