: Die legalen Arme der Bewegung
■ Selbst wenn sie die "Neugründung der NSDAP" anstreben, werden militante rechtsextreme Organisationen bislang nicht verboten. Innenminister Seiters plant und prüft - seit Wochen. Derweil rufen für Sonntag...
Rechtzeitig zum 9. November ließ Bundesinnenminister Rudolf Seiters verlauten, daß sein Ministerium mit einem „internen Sofortprogramm“ den „bedrohlichen Rechtsradikalismus nachhaltig bekämpfen“ wolle. Man plane sogar „gesetzliche Maßnahmen für ein Verbot neonationalsozialistischer Organisationen“. Seiters plant und prüft. Und das schon seit Wochen.
Was Seiters so lange prüft, bleibt jedoch sein Geheimnis. Eine Vielzahl von rechtsextremen und offen neonazistischen Gruppen und Parteien verstoßen mit ihren Aktionen, Zielen und ihrer Propaganda gegen einschlägige Straftatbestände. Paradebeispiel hierfür ist die in Cottbus ansässige „Deutsche Alternative“ (DA), deren Verbot von Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel inzwischen lautstark gefordert wird.
Die im Mai 1989 in Bremen gegründete „nationale Protestpartei“, war von dem inzwischen an Aids verstorbenen Neonazi-Führer Michael Kühnen von Anfang an dazu auserkoren worden, der legale Arm der Bewegung zu sein. In seinem „Arbeitsplan-Ost“ vom Januar 1990 schreibt Kühnen die Rolle der DA als „Massenorganisation“ mit einem „gemäßigten Programm“ fest. „Hinter allen öffentlichen und legalen Aktivitäten“ solle demnach eine „stahlharte, weltanschaulich gefestigte Kadertruppe“ stehen – eben Kühnens „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF). Die Zielrichtung der 1977 gegründeten Kaderorganisation GdNF läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. In ihrem internen Mitteilungsblatt „Die neue Front — Widerstand“ erklärt die GdNF, eine „Gesinnungsgemeinschaft von überzeugten Nationalsozialisten“ zu sein, die „die Überwindung des NS-Verbots und die Neugründung der NSDAP als legale Partei“ erstrebe. Daher versteht man sich in der „Tradition der SA“ und sieht in Adolf Hitler die „Heilsgestalt der arischen Rasse“.
Kein Problem wäre es also, die GdNF als verbotene Nachfolgeorganisation der NSDAP zu verbieten. Kein Problem wäre es so auch für das Bundesverfassungsgericht, die DA als Partei zu verbieten, denn aus den internen Mitteilungsblättern geht die enge Vernetzung von DA und GdNF hervor. Verschiedene DA-Ortsverbände firmieren dort als GdNF-Gaue. Führende Köpfe der GdNF wie zum Beispiel der Berliner Arnulf Priem von der Gruppe „Wotans Volk“, der Hamburger Christian Worch von der „Nationalen Liste“ oder der Langener Heinz Reisz vom „Deutschen Hessen“ arbeiten seit Gründung der DA nahtlos mit dieser Partei zusammen.
Alle größeren rechtsextremen Aufmärsche im vereinigten Deutschland wurden von der DA in Zusammenarbeit mit der NL, Wotans Volk, der „Nationalen Offensive“ in Dresden oder der „Deutsch-Nationalen Partei“ (DNP) in Weimar unter Führung des inzwischen wegen Verdachts auf Gründung einer terroristischen Vereinigung einsitzenden Thomas Dienel organisiert. Die Ost-West- Zusammenarbeit klappte dabei hervorragend. Kein Wunder, denn DA-Bundesvorsitzender Frank Hübner (27) erhielt seinen Schliff direkt bei Michael Kühnen in Langen, der sächsische DA-Chef Roman Dannenberg (26) in Hoyerswerda verdiente sich seine Sporen als NPD-Landtagskandidat in Bayern. Die Militanz der DA ist den Sicherheitsbehörden längst bekannt. Brandenburgs Verfassungsschutzchef Pfaff schrieb der DA bei den rassistischen Krawallen in Cottbus eine „steuernde Funktion“ zu. „Rostock ist nur der Anfang“, diktierte Sachsens DA- Chef Dannenberg nach den Pogromnächten in der Hansestadt den Reportern ins Notizbuch. Der Plan der DA, bis zum Jahresende in Ostdeutschland „Mobile Einsatzkommandos“ zu gründen, die offen antisemitische Hetze im Parteiorgan „Brandenburgischer Beobachter“ sowie die Organisation von Konzerten in Cottbus und Finsterwalde mit der britischen Skinhead-Band „Skrewdriver“, die dem militanten internationalen Netzwerk „Blood and Honour“ angehört, sprechen eine deutliche Sprache. Der führende Berliner DA-Aktivist Oliver Schweigert legte im Februar dieses Jahres bei einem Überfall auf ein Flüchtlingswohnheim am S-Bahnhof Berlin- Buckow gar selbst mit Hand an. Der 23jährige Schweigert ist nicht nur DA-Aktivist, sondern auch Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Berlin der „Nationalen Alternative“. Wie aus Berichten des Berliner Antifa-Infoblatts hervorgeht, organisiert die NA in Berlin und Müncheberg regelmäßige Wehrsportlager, zuletzt vor sechs Wochen das „Grundausbildungslager Wehrhase“ in der Nähe von Müncheberg. „Waffen sollte jeder bei sich haben“, heißt es lapidar in der Einladung. Die Ausbildung leitete der 24jährige Berliner Sven Ruda, Feldwebel der Reserve.
Das Lager „Wehrhase“ diente der NA zur Vorbereitung des nächsten zentralen Aufmarsches von Rechtsextremisten aller Schattierungen am Sonntag in Halbe, 45 Kilometer südlich von Berlin. Auf dem Friedhof in Halbe, wo rund 20.000 Opfer einer entscheidenden Kesselschlacht am Ende des Zweiten Weltkriegs begraben liegen, wollen sie die Soldaten der Waffen-SS als Kämpfer „für die Freiheit Deutschlands und Europas“ ehren. Organisiert wird der Aufmarsch von der 80jährigen Ursula Schaffer, Vorsitzende der „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen“. Schaffer will sich dem inzwischen ausgesprochenen Verbot der Kundgebung durch das Kreisgericht Potsdam nicht beugen. Zusammen mit ihrem Anwalt, dem ehemaligen Berliner Rep-Fraktionsvorsitzenden Carsten Pagel, will sie Berufung einlegen. „Wenn es verboten bleibt, werden wir auf jeden Fall woanders etwas unternehmen“, erklärt Schaffer eindeutig. Unterdessen ruft eine Vielzahl von Gruppen für Sonntag um 11 Uhr zu einer Gegenkundgebung in Halbe „gegen faschistische Geschichtsfälschung und militaristisches Säbelrasseln“ auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen