piwik no script img

"1:1 meine Erlebniswelt"

■ Drei weitere Premieren von Werner Schwab-Stücken in Hamburg / Der Grazer Dramatiker über Liebe, Tabubrüche und deutschen Küche

INTERVIEW

»1:1 meine Erlebniswelt« Drei weitere Premieren von

Werner Schwab-Stücken in Hamburg

Der Grazer Dramatiker über Liebe, Tabubrüche und deutsche Küche

Vor drei Jahren hatte Werner Schwab (34) sich entschlossen, „ein berühmter Dichter zu werden“, heute ist er der meistbeachtetste und einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker. Die Stücke des Österreichers sind gnadenlose Zurschaustellungen einer verkorksten Moral und verdrängter Begierden. In einem Kunstdialekt, dem Schwabischen, zerkleinern sich seine Unterklasse-Menschen gegenseitig bis regelmäßig Blut fließt. Jetzt stehen Hamburg drei neue Schwab-Stücke ins Haus. Am Donnerstag ist die Premiere von „Übergewicht, unwichtig: Unform“, ein Fäkaliendrama, im Thalia in der Kunsthalle (Regie: Brigitte Landes für den erkrankten Ralf Siebelt), am 3. Dezember Schwabs Debüt „Die Präsidentinnen“ auf Kampnagel (Gruppe Babylon) und ebenfalls dort Anfang nächsten Jahres Werner Schwabs „Faust“ mit Bernhard Minetti als Faust und Blixa Bargeld als Mephisto.

Wenn ich Ihre Stücke lese, dann fällt mir immer das Dante-Motto ein: „Laßt, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren“. Empfinden Sie die menschliche Situation als derartig hoffnungslos?

Mir erscheinen meine Stücke gar nicht so hoffnungslos. Alles, was man so normales Leben nennen könnte oder Nicht-Kunst-Leben oder sonstiges, das ist ja alles viel, viel, viel schwieriger, als ich das beschreibe.

Aber es ist ja trotzdem so, daß viele lebensentscheidende Dinge, wie Liebe oder Glück, die kommen überhauptnicht oder nur als Farce vor.

Ja sicher, aber das ist doch im wirklichen Leben genauso. Wenn nicht noch viel stärker. Geschenkt kriegt man ja nichts. Man muß halt steinhart daran arbeiten, und unter Umständen könnte man das dann Liebe nennen.

Deshalb äußern sich Ihre Figuren nur in Demütigung und Krieg?

Das ist eben der normale Weg so. Wenn man das hohe Prinzip nicht kann, dann verreckt man eben unterwegs oder verfallt oder sonst etwas. Das kenn ich auch von mir selber. Immerzu Sieg oder Tod.

Aber Sieg gibt es in Ihren Stücken eigentlich nicht.

Wenn es soetwas gibt, dann ist das im Grunde so etwas Intimes, so etwas Außergewöhnliches, darüber schreibt man nicht, darüber spricht man nicht.

Die Personen Ihrer Stücke sind sehr entseelt und entpersönlicht.

Ja, das stimmt. Das ist ja beabsichtigt. Diese Sache, die man „Ich“ nennt oder „Du“ nennt, die ist ja im Grunde so selten und so wertvoll - oder Quatsch, je nachdem, wie man das sieht -, daß man einfach nicht locker davon ausgehen kann und sagen kann „Ich“ und „Du“ und so weiter. Meistens ist es ja wirklich so, daß man eigentlich nicht selber spricht, sondern gesprochen wird. Das heißt einfach, daß die Sprache stärker ist als die Person, in die die Person hineingeboren wird.

Schaffen diese Figuren nicht eine grundsätzliche Distanz des Publikums zum Geschehen?

Im Gegenteil. Das ist ja der Witz dabei. Die letzteren Sachen, die sind ja viel mehr Publikumserfolge als Kritikererfolge. Die Theater sind immer knallvoll.

Wie fühlt man sich denn so als Shooting-Star, den jeder spielen will?

Na, garnicht. Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder versucht man es in der Totalbreite in den Kopf hineinzukriegen, oder man verzichtet drauf, so wie ich es mach, weil sonst würde ich anfangen zu spinnen, und ich habe keine Lust, zu beginnen zu spinnen. Also mache ich gar nichts diesbezüglich im Kopf.

In Ihren Stücken gibt es eigentlich jede Art von Tabuverletzungen: Inzest, Mord, Kannibalismus, Päderastie. Halten Sie solche Triebgelüste denn wirklich für so bestimmend?

In der Heftigkeit, wie sie in Stücken von mir auftauchen, in der Heftigkeit begegnen sie mir auch. Das ist halt so ziemlich eins zu eins meine Erlebniswelt. Ich lutsch mir ja nichts aus den Fingern, und ich erfind ja nichts.

Glauben Sie denn noch an den Einfluß von Theater?

Nein, eigentlich nicht. Das ist irgendwie so eine freundschaftliche Sache. Man schreibt für Leute, die im Kopf theaterfähig sind und die schauen es sich im Endeffekt auch an und finden es eben gut oder schlecht, aber man schreibt ja sowieso so, daß die das gut finden können.

Warum glauben Sie, sind die Theater gerade jetzt so auf Sie eingestiegen?

Es ist nicht wie der Handke, der so dämlich positiv schreibt, und es hat auch nicht, womit es viel mehr zu tun hat, die totale musikalische Negativ-Power von Thomas Bernhard. Es ist wahrscheinlich unglaublich schauspielerfreundlich. Und

1umso mehr Schauspieler daran Spaß haben, umso mehr gefällt es dem Publikum.

Ich frage mich beim Lesen immer, ob Ihre Sprache ein intuitiver Ausfluß oder eine absichtliche Konstruktion ist?

Das habe ich schon sehr konstruiert. Nun gut, mittlerweile muß ich nicht mehr in meinem eigenen Syntaxbuch nachschauen, wie man das schreibt, jetzt kann ich's auch selber. Aber besonders intuitiv war das eigentlich nicht.

Haben Sie für Ihr Faust-Projekt Goethes Drama neu geschrieben?

Es ging eigentlich nur darum, den Faust auf ein heutiges Bewußtsein heraufzuheben. Und vor allem halt aus dem Gretchen kein Dummerchen zu machen, sondern eine steinharte Frau. Ich habe dann einen Sprachtypus erfunden, der dem faustischen, dem goethischen möglichst nahe kommt.

Es gab auch eine Auftragsarbeit vom Schauspielhaus.

Man hat mich beauftragt, Troilus und Cressida von Shakespeare neu zu schreiben. Arie Zinger war der Regisseur, und der ist daran gescheitert. Ich habe ihm das Szene für Szene geschickt, und er hat zu mir gesagt, „das ist ganz, ganz toll, was du mir da schickst, aber ich verstehe es nicht“. Und das Stück

1hängt jetzt in der Luft, und ich weiß nicht wie der Schlesselmann da drüber denkt. Er sollte sich doch bemühen, die 30000 Mark, die ihn das gekostet hat, irgendwie wieder reinzukriegen. Wäre ich er, würde ich mich einfach nach einem anderen Regisseur umschauen.

Eine letzte Frage. Bei der Lektüre Ihrer Fleischexzesse stellt sich mir die Frage: Sind Sie Vegetarier?

Nein, als Österreicher wäre das viel zu kompliziert. Fleisch esse ich nicht so oft, Fisch mag ich gerne. Aber in Deutschland vergeht einem ja sowieso die Lust auf Essen. Die können alle nicht kochen hier. In Österreich kocht jedes kleine Vorstadtlokal besser als irgend so ein Drei- oder Viersterne-Dingsbums in Deutschland. Wenn ich hier bin, zum Beispiel neulich in Stuttgart, wo man besonders greußlich kocht, da habe ich Sehnsucht und denke mir nur: „Ach, Wien, ach Österreich.“ Und dann fährt man hin, und dann speit einen das sofort wieder an, und man merkt die ganze österreichische Totalscheiße wieder, und dann bist du wieder froh und denkst „Ach, Hamburg, ach Stuttgart.“ Und dann fährt man genauso entzückt wieder weg, wie man hingekommen ist. Fragen: Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen