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Seit dem Golfkrieg ist Somalia wieder interessant

■ Die USA verfolgen mit ihrer Intervention auch strategische Ziele in der Region

Berlin (taz) – Mit dem bevorstehenden US-Einmarsch in Somalia geht eine mehrjährige Zeitspanne zu Ende, in der das Horn von Afrika von der westlichen Außenwelt außergewöhnlich vernachlässigt wurde. Er markiert die definitive Rückkehr der Vereinigten Staaten in eine Region, deren strategische Bedeutsamkeit für die USA rasch wächst.

Traditionell bestand das westliche Interesse am Horn von Afrika an seiner geographischen Lage als Nadelöhr wichtiger Seerouten: in der Kolonialära der Seeweg von Europa nach Indien, seit den 50er Jahren der Öltransportweg vom Persischen Golf ins Mittelmeer. In der Zeit der Ost-West-Rivalität war das Horn von Afrika daher einer der wichtigsten Schauplätze des Kalten Krieges, auch mit heißen Phasen.

Die erste direkte Bekundung eines US-Interesses an Somalia stammt aus dem Juni 1977. Damals nannte US-Präsident Carter das zuvor als prosowjetisch geltende Somalia als eines von mehreren Ländern, „die wir in fünfzehn bis zwanzig Jahren als für uns wesentlich erachten oder erachten könnten“. Die Nachbarstaaten Äthiopien und Süd-Jemen waren damals Verbündete der Sowjetunion. 1980 erhielten die USA militärische Nutzungsrechte für den somalischen Hafen Berbera.

Als sich die beiden Supermächte gegen Ende der 80er Jahre aus der Region zurückzogen, wurde deutlich, daß mit schwindendem äußeren Interesse auch die Machtbasis der Zentralregierungen schmolz. Im Januar 1991 stürzte Siad Barre in Somalia; Äthiopiens Haile Mengistu Mariam folgte vier Monate später. Seither durchlebt das Horn von Afrika eine politische Neuordnung. Von Äthiopien spaltet sich derzeit Eritrea ab, das 1993 seine Unabhängigkeit erklären will; der einst britische Norden Somalias erklärte sich unter dem Namen Somaliland im Sommer 1991 unabhängig. Das Horn von Afrika ist heute, dank jahrzehntelanger Bürgerkriege und der Vertreibung und Entwurzelung ganzer Bevölkerungen, eine Zone schwacher Regierungen und extremer sozialer Instabilität.

Daß das US-Interesse am Horn von Afrika den Ost-West-Konflikt überdauert hat, liegt an den politischen Folgen dieser neuen Verhältnisse. Sie brachten nämlich einen erheblichen Einflußzuwachs radikaler islamistischer Kräfte mit sich, unterstützt vor allem von dem seit 1989 von einer islamistischen Militärjunta regierten Sudan. Im abgespaltenen Norden Somalias ist der Einfluß des islamischen Fundamentalismus bis in Regierungskreise zu spüren; im August dieses Jahres kam es im Nordosten Somalias zu Kämpfen zwischen der dort herrschenden „Somali Salvation Front“ und islamischen Gruppen; im Süden, an der Grenze zu Äthiopien, werden mehrere Ortschaften von Islamisten kontrolliert. Ihr gemeinsamer Nenner: der Wunsch nach Überwindung der „unislamischen“ Clangegensätze und Mafiastrukturen. „Die Alten sind alle Diebe. Die Lebensmittelhilfe erreicht nie die Bedürftigsten. Das werden wir ändern“, zitierte Le Monde kürzlich einen Aktivisten.

Der Golfkrieg fügte dem US-Interesse an diesem „weichen Unterleib“ der arabischen Welt eine neue Dimension hinzu. Da Washington auch der Achse Iran-Sudan wachsendes Gewicht beimißt, ist es kaum verwunderlich, daß das Horn von Afrika zum Brennpunkt der neuen Gegnerschaft zum Islamismus aufsteigt. Bereits im Juni 1991, kurz nach dem Golfkrieg, sorgten die USA für eine rasche Einigung der äthiopischen Guerillafronten und hievten die derzeitige Regierung Äthiopiens an die Macht, um ihren Einfluß bei diesem traditionellen Verbündeten zu wahren. Das jetzige Eingreifen in Somalia könnte zu einem Versuch werden, diesen Erfolg zu reproduzieren.

Mit zwei befreundeten Regierungen in Addis Abeba und Mogadischu wäre, aus US-Sicht, die Stabilität der Region wiederhergestellt. Nicht zufällig war es der Sudan, der als erster Staat gegen die US-Pläne in Somalia protestierte. In den USA werden zunehmend Parallelen zwischen der Notsituation Somalias und dem Massensterben im sudanesischen Bürgerkrieg gezogen – letzteres koste genauso viele Menschenleben und könne genauso als Gefahr für die internationale Sicherheit gewertet werden, erklärte kürzlich die Hilfsorganisation „World Vision“. Am Tag nach dem US-Truppenentsendungsvorschlag unterzeichneten Sudan und Äthiopien einen Freundschaftsvertrag. Dominic Johnson

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