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Das Ende einer Vetternwirtschaft

■ Vorerst aber nur in Brasilien: Gestern trat Präsident Collor kurz vor seiner Absetzung zurück

Brasilia (taz/AFP) – Die Dimensionen der beiden Affären sind nicht vergleichbar, trotzdem könnte das Schicksal des brasilianischen Präsidenten-Korruptionskönigs Fernando Collor de Mello für Bundeswirtschaftsminister Möllemann ein Menetekel sein: Collor kam gestern mit seinem Rücktritt der endgültigen Absetzung durch die zweite Kammer des brasilianischen Parlaments nur um Stunden zuvor. Bereits im Oktober war er von seinem Amt vorläufig suspendiert worden.

Unter politischen Beobachtern hatte kein Zweifel bestanden, daß im Senat die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Absetzung zustande kommen würde. Nachfolger ist der bisherige Übergangspräsident Itamar Franco, der gestern in einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern des Parlaments formell eingesetzt wurde.

Die Senatssitzung war am Morgen unmittelbar nach der Bekanntgabe von Collors Rücktritt vorübergehend unterbrochen worden. Ungewiß war, ob der Senat doch noch über die Amtsenthebung Collors abstimmen würde. Bei einer Absetzung Collors durch das Parlament dürfte dieser acht Jahre lang kein öffentliches Amt ausüben. Hingegen dürfte er sich bei Abbruch des parlamentarischen Amtsenthebungsverfahrens, wie von Collor in seinem Schreiben verlangt, weiter politisch betätigen. Die Entscheidung, ob das Amtsenthebungsverfahren fortgesetzt werden sollte, muß der Präsident des Obersten Gerichts, Sidney Sanches, treffen.

Nur zwanzig Minuten nachdem der Senat am Morgen zu seiner Sitzung zusammengetreten war, hatte Collors Verteidiger José de Mouro Rocha die Senatoren mit einem Brief überrascht, in dem der suspendierte Präsident seinen Rücktritt erklärte. Noch am Vortag hatte Collor erklärt, er denke nicht an Rücktritt, da dies einem Eingeständnis gleichkäme, daß die Korruptionsvorwürfe zutreffen. Den Rücktritt begründete der Verteidiger damit, daß der Senat Collors Rechte zu seiner Verteidigung „beschnitten“ habe. Zu Beginn der Senatssitzung hatte Sanches einen Antrag des Anwalts abgelehnt, wonach ein Zeuge der Verteidigung, der wegen Krankheit nicht erscheinen wollte, zur Aussage verpflichtet werden sollte. Moura Rocha sagte, Collor habe ihn angewiesen, den Rücktrittsbrief zu präsentieren, falls seine Rechte zur Verteidigung erneut eingeschränkt würden.

Collor hatte bis zuletzt durch Anträge versucht, die Senatsabstimmung hinauszuzögern. Die ursprünglich bereits für den 22. Dezember angesetzte Senatsentscheidung über Collor war bereits um eine Woche verschoben worden, nachdem der suspendierte Staatschef in einem Verfahrenstrick seine bisherigen Verteidiger entlassen hatte.

Collor war am 2. Oktober vorläufig von seinem Amt entbunden worden, nachdem ihn das Abgeordnetenhaus mit überwältigender Mehrheit für schuldig befunden hatte, Millionensummen aus einem mutmaßlich von seinem Wahlkampfmanager, dem Unternehmer Paulo Cesar Farias, errichteten Korruptionssystem erhalten zu haben. Jetzt wartet auf Collor das strafrechtliche Verfahren: Ihm drohen bis zu acht Jahre Haft wegen Bestechlichkeit und Gründung einer kriminellen Vereinigung. Tagesthema Seite 3

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