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Homo Vater und Pretty Baby

Polanskis „Bitter Moon“ ist ein Beitrag zum europäischen Altherrenkino  ■ Von Mariam Niroumand

Auf dem Seeweg nach Indien hat ein englisches Ehepaar einen Luxusdampfer nach Istanbul bestiegen. Über der Reling hängt ein dürrer Mond. „Bombay“, flüstert sie, „ich kann gar nicht glauben, daß wir unterwegs sind...“ Man weiß, was die Stunde geschlagen hat: So läutet man im Kino eine education sentimentale ein.

Worin die in Polanskis neuem Film „Bitter Moon“ zu bestehen hat, wissen wir auch schon. Er trägt Tweed und sieht ein bißchen blaß aus (sexuell unterversorgt), und sie ist freundlich, aber ein bißchen schmallippig und neigt zu Übelkeitsanfällen (wünscht sich also Kinder, ist hysterisch, im Bett einfallslos, frustriert etc.) Es geht um Sex, knallhart zur Sache Schätzchen, Madonna soll sich wie eine Schülerlotsin ausnehmen gegen das, was das Ehepaar Nigel und Fiona nun zu lernen hat.

Prompt kommt auch schon der erste Inder um die Ecke und sondert die ersten Wahrheiten ab: Indien sei für eine Ehetherapie unbrauchbar, denn es bestehe im wesentlichen aus Dreck und Gestank. Wir wissen also des weiteren gleich zu Anfang, daß die Sexualtherapie noch vor Ende der Reise auf dem Schiff stattzufinden hat – seit „Das Messer im Wasser“ ist die offene See häufig der Point of no Return für Polanski gewesen – und daß das arme Paar weder von Indern noch von Engländern initiiert werden kann. Wer kommt also bei einer europäischen Koproduktion eines Regisseurs in Frage, der am liebsten Hollywoodfilme machen möchte, aber wegen Unzucht mit einer Minderjährigen nicht mehr nach Los Angeles darf? Eine Französin ist hier ganz klar zuständig, jawoll, Mimi muß sie heißen, ein dümmliches Kindergesicht muß sie haben + Popo + Beine + Tittchen (sie ist Polanskis Frau Emanuelle Seigner, von Beruf Chanel-Model). Der Mann dazu muß logischerweise doppelt so alt und Amerikaner aus der rauhbeinig- zynischen Graumeliertenriege sein. Peter Coyote ist der richtige Mann für die Rolle dieses Oscar, der sich unseren Engländer Nigel schnappt, um ihm nun die Geschichte seiner Leidenschaft für Mimi zu erzählen, in einem Rollstuhl sitzend, also bereits impotent. Noch bevor er Nigel flüstert „Da kriegst du einen Harten, was Nigel? Aber sieh dich vor: Sie ist eine Männerfalle“, wissen wir, wer schuld ist an seinem Elend. Kameratechnisch macht sich in diesem Zusammenhang die Sache mit dem Rollstuhl ganz ausgezeichnet: Wenn sein Kopf im Bild ist, sieht man nur ihren Schoß, den Sündenpfuhl...

Dem Cahiers du Cinema hat Polanski kürzlich erklärt, er wolle in seinen Filmen einen esprit Mitteleuropas, etwas Kosmopolitisches mit absurder Schlagseite, den Geist des Exils, das Reisemotiv, gepaart mit der Ironie, mit der er in „Chinatown“ seinen Helden Jack Nicholson ständig mit beschnittener Nase herumlaufen ließ. Die Affäre zwischen Mimi und Oscar beginnt in Paris, in einem Bus. Paris ist hier, anders als in „Frantic“, kein hektischer, verdorbener Großstadtdschungel, sondern eine Art Benetton-Paradies, jung, vergnügungssüchtig, aber sauber; man sieht vor allem Sportgeschäfte und Jogger, die Alleen sind leergeräumt, und das junge Paar küßt sich erstmals mit Baguette in der Hand und einem Kameraschwenk auf die „Bonne Maman“-Marmelade. Schriftstellerchen Oscar geriert sich als Nachfolger von Hemingway, Fitzgerald und vor allem Henry Miller, der Amerikaner in Paris (sagt es auch noch laut), aber die Sätze, die dabei herauskommen, wirken wie eine unfreiwillige Titanic-Parodie auf „Stille Tage in Clichy“: „Ihre Pussy war wie ein Blablabla, ihre Haut ein reines Bläbläblä, und ihre warme, goldene Kaskade ergoß sich auf mich... Wir verließen drei Tage die Wohnung nicht mehr.“ Der Sex, der hier so mühsam beschworen wird, ist garantiert keimfrei; es geht nicht eigentlich um Obsession, sondern mehr um sexuelle Praktiken: Daß Papps all das noch schafft.

Während von Ironie und Exilantentum wenig zu spüren ist, paßt „Bitter Moon“ durchaus in einen bestimmten Trend, der im Moment häufiger im europäischen Kino zu beobachten ist. In Volker Schlöndorffs „Homo Faber“ begehrt Homo Vater Sam Shepard, inzwischen selbst in den späten Fünfzigern, die Kindfrau Julie Delphy, auch dieses Paar durchstreift Europa; in Louis Malles „Verhängnis“ muß sich Jeromy Irons als Schwiegervater nach der jungen Frau seines Sohnes, Anna (Juliette Binoche) verzehren, Jaques Rivettes „La Belle Noiseuse“ erzählt, wie ein Maler (Piccoli in den allerallerbesten Jahren) den Kopf auf dem Porträt der nur an seine Karriere denkenden, aber gealterten Ehefrau durch den Popo der schönen Querulantin ersetzt – der Bildtitel bleibt für beide Frauen derselbe; und Eric Rohmers „Wintermärchen“ spannt eine andere kindfrauliche Querulantin zwischen einen jugendlichen Intellektuellen und einen reifen Kleinbürger, um sie schließlich mit dem Vater ihres Kindes ins Glück zu führen.

Auch wenn man eigentlich Woody Allen direkt hinzubitten möchte, der ja immerhin – genau wie Polanski – sogar rechtliche Konsequenzen seinen graumelierten Leidenschaften zu gewärtigen hat, scheinen diese Filme doch etwas spezifisch Europäisches mit sich herumzuschleppen. Während das Kinopublikum immer jünger wird, werden die wichtigsten europäischen Regisseure der Nachkriegszeit älter. Die Filme versuchen beiden Geschmäckern ein bißchen gerecht zu werden: Die Jungen dürfen in Turnschuhen und Walkmännern auf dem Montparnasse herumhüpfen und Querulanten sein, aber die Söhne werden im Laufe der Geschichten zu Waschlappen degradiert: Auf der Suche nach Mimi läuft Nigel in die dunkle Kabine, greift unter der Bettdecke nach ihrer Hand und hält statt dessen die behaarte Pranke des hämisch lachenden Oscar; Juliette Binoches junger Mann muß sogar sterben, und der Freund der Querulantin wird an seine Schwester verwiesen.

Die Kindfrauen sind Musen des alten europäischen Künstlers, und natürlich sind diese Filme auch die letzte Bastion des Autorenkinos, das zunehmend von der arbeitsteiligen europäischen Koproduktion der Profis verdrängt wird. Gerade bei Rivette wird dieses Künstlertum gepflegt: Frenhofer, der Maler, lebt zurückgezogen wie auf einem Schloß, seine Ehefrau, von der er getrennt schläft, schützt seine Werke wie eine Tempelherrin; prompt empfindet die schöne Querulantin die heiligen Hallen als Kirche, fühlt sich in ihr Internat zurückversetzt.

Die Kindfrauen sind heimatlos, kommen und gehen wie Ruby Tuesday, stimulieren die nachlassende Potenz, aber sie stellen keine Ansprüche, sind der Natur näher als der intellektuellen Auseinandersetzung (so sagt es Rohmers Protagonistin einmal über sich selbst). Und sie haben, wenn überhaupt, Berufe, die sich leicht aufgeben lassen. Sie werden gemalt, fotografiert, ausgestellt; ihre Doppelgesichtigkeit als Nymphe und Verderberin ebenso illustriert wie ihr selbstgenügsamer Narzißmus.

Die schlechtesten Karten im europäischen Altherrenkino haben natürlich die Ehefrauen. So wie sie im Laufe der Zeit aus der Menage a trois zwischen Vater, Sohn und Tochter ausgeschlossen werden, so verschwindet auch ein bestimmter Typ Frau aus dem europäischen Kino. Mit einer Anna Magnani oder einer Jeanne Moreau könnte man solche Faxen eben nicht machen; Bulle Ogier oder Emma Thompson erinnern nur von Ferne an die Zeit, als es noch ein Kino für Erwachsene gab in Europa.

„Bitter Moon“, Buch und Regie: Roman Polanski, Kamera: Tonino Delli Colli. Mit Emanuelle Seigner, Peter Coyote, Hugh Grant, Kristin Scott Thomas. Frankreich, 1992, 103 Min.

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