piwik no script img

Ausländer stinken doch

■ Flüchtlingsheim darf in Hildesheim nicht gebaut werden, entschied das Verwaltungsgericht

Berlin (taz/dpa) – Im niedersächsischen Hildesheim darf nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover ein Wohnheim für Flüchtlinge nicht im Stadtbereich gebaut werden. Begründung: Die von AsylbewerberInnen ausgehenden „Immissionen“ (Einwirken von Luftverunreinigungen, Schadstoffen, Lärm etc.) sind Nachbarn „nicht ohne weiteres zuzumuten“. Das Urteil wurde am Mittwoch bekannt (Az: 1 B 151/92. Hi).

Die Hildesheimer Kammer des Verwaltungsgerichts erläuterte ihre Entscheidung unter anderem wie folgt: „Die Kammer berücksichtigt dabei, daß in Übergangswohnheimen für ausländische Flüchtlinge auch solche Personen oder Gruppen Aufnahme finden können, die infolge ihrer gänzlich unüblichen Gewohnheiten, Lebensstile, Familiengröße, aber auch der zu beobachtenden Rücksichtslosigkeit oder übergroßen Zahl jugendlicher Mitglieder in so enger räumlicher Unterbringung Nachbarn eines Wohngebietes nicht ohne weiteres zumutbar sind.“ Die eventuelle Gefährdung der HildesheimerInnen durch Brandstiftung am Flüchtlingsheim, durch Schüsse auf die Insassen, durch umherfliegende Molotowcocktails und anderes spielte in der Begründung überraschenderweise keine Rolle – womöglich behält sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit diesen Einwand der existentiellen Art für die Revision des Verfahrens vor.

Die Stadt Hildesheim nämlich hat bereits Beschwerde gegen den Richterspruch eingelegt, entscheiden muß jetzt das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg.

Bei Niedersachsens Justizministerin Heidi Alm-Merk (SPD) löste der Beschluß „bei aller Zurückhaltung“ in der Bewertung die klassische „tiefe Betroffenheit“ aus. Der Europa- und Bundesratsminister Jürgen Trittin (Grüne), zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen, nannte den Beschluß „formaljuristisch nicht nachvollziehbar“ und – vor dem Hintergrund ausländerfeindlicher Ausschreitungen – „politisch katastrophal“.

„Diese Urteilsbegründung ist menschenverachtend und rassistisch“, sagte auch der Abgeordnete der Grünen-Landtagsfraktion, Hannes Kempmann. Es sei erschreckend, wie rasend schnell sich der Rassismus in allen gesellschaftlichen Schichten ausbreite. Er forderte in einer Pressemitteilung, in einem „Anti-Diskriminierungsgesetz“ offene und versteckte Formen von Ausländerfeindlichkeit unter Strafe zu stellen.

Unklar ist, ob Kempmann darunter auch die Entscheidungen von Verwaltungsgerichten faßt, die ihre Urteile sowohl offen als auch versteckt rassistisch begründen. Einen Preis für reaktionäre Dialektik im Namen des Volkes hat das Verwaltungsgericht Hannover in jedem Fall verdient: nach der Devise „schuld sind die Opfer“ wird den Flüchtlingen selbst in der oben zitierten Begründung angelastet, daß sie „in übergroßer Zahl“ untergebracht werden. ES

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen