: Die neuen Leiden des Jungen K.
■ Ulrich Plenzdorf über das Fernsehspiel „Vater Mutter Mörderkind“, heute im ZDF um 19.25 Uhr
Nach dem Fall der Mauer kommt Ex-Terrorist Julius, der in der DDR untergetaucht war, hinter Gitter. Wie sein Adoptivsohn Karl damit umgeht, schildert das Fernsehspiel „Vater Mutter Mörderkind“ von Ulrich Plenzdorf (Buch) und Heiner Carow (Regie). Die taz sprach mit dem Autor aus Ost-Berlin über die fiktive Geschichte mit realem Hintergrund.
taz: Wie haben Sie für den Film recherchiert? Im Pressetext steht, daß Sie über „intime Kenntnisse“ verfügen, die „die psychologischen und historischen Details von untergetauchten RAF-Leuten“ betreffen.
Ulrich Plenzdorf: In den siebziger Jahren hatte ich persönliche Kontakte mit Leuten aus der Szene, die ihre Urteile schon abgessen hatten. Aber es sind keine Untergetauchten. Außerdem habe ich recherchiert, was aus den Zeitungen reinkam. Ich habe auch so gut wie die gesamte Literatur zu dem Thema gelesen. Wir wollten aber keine dokumentarische, belegbare Biographie nacherzählen. Dann muß man einen anderen Film machen. Es geht ja auch nicht so sehr um die Figur des Terroristen. Eigentlich ist es die Geschichte seines 14jährigen Adoptivsohnes Karl.
Warum haben Sie aus der Perspektive des Kindes erzählt?
Als ich das Angebot vom ZDF kriegte „möchtest Du was zum Thema untergetauchte Terroristen machen“, fiel mir ein: Was muß einem Kind aus so einer Ehe passieren. Das war mein erster Gedanke und daran habe ich mich gehalten. Da liegen keine rationalen Erwägungen zugrunde. Ich bin immer so vorgegangen, daß ich das beschrieben habe, was sich vor meinen Augen abgespielt hat. Das Bedürfnis das abzuarbeiten, ist dann da.
Befürchten sie nicht, daß politische Aspekte zu kurz kommen, wenn Sie die Handlung in den privaten Bereich verlagern?
Die einzelnen Stationen der Geschichte können schon in dem Moment nicht mehr privat sein, wenn die Konstellation so ist wie in diesem Film. Wenn der Vater verhaftet wird. Daß der Junge in die Schule kommt und da Konflikte hat. Daß er per Zettel an der Wohnungstür den Titel „Mörderkind“ bekommt. Mitten darin geht die DDR zu Bruch. Dann fängt der Junge an, Besuche zu machen in der Vollzugsanstalt. Es sind, wenn man so will, private Szenen in einer Besucherzelle. Es ist nicht das, was man einen Film nennen kann, der kritische Blicke verteilt. Es ist eine Schilderung. Die Wertung ergibt sich von allein, finde ich.
Mußten Sie beim Drehbuch Zugeständnisse machen?
Ich hatte völlig freie Hand.
Im Film gibt es die Figur eines ehemaligen SS-Mannes mit Namen „Überlaut“. Er erscheint als Sympathieträger, obwohl in seinem Kopf das Denken nicht gerade die Richtung gewechselt hat.
Seien wir vorsichtig mit Begriffen wie SS-Vertreter. Überlaut ist, als er noch grün hinter den Ohren war, in der letzten Minute in den Krieg gerannt. Der war ein paar Monate in der Waffen-SS und ist in Schwedt in den Schlamassel reingeraten. Allerdings ist im Film wichtig, was er über Mussolinis Entführung gegen Ende des Krieges durch den Obersturmbannführer Skorzeny erzählt. Überlaut sagt nicht umsonst: Skorzeny war einer der ganz frühen Terroristen und alle haben sich nach seinem Muster gerichtet – denn auch Karl könnte mit dem Ansatz, den er startet, die terroristische Richtung einschlagen. Die trainieren nicht umsonst mit Waffen auf dem Schrottplatz. Ich wollte schon bewußt diese drei Generationen über Terrorismus nachdenken lassen.
Sie sind zu einem richtigen Fernsehautor geworden...
Nee, es ist in gewisser Weise völlig anders. Eigentlich wollte ich nie Prosa schreiben. Ich wollte auch nie Lyrik und nie Stücke, sondern immer bloß Filme schreiben. So habe ich angefangen und so bin ich auch ausgebildet. Zum Prosa- und Stückeschreiben bin ich gekommen, weil das, was ich als Film schreiben wollte, meistens auf Widerstand stieß. Und ich wollte es halt nicht wegschmeißen, es tat mir leid darum. Dann habe ich hier und dort die Chance gehabt, das als Theater oder Prosa zu machen. Sie müssen sich vorstellen, daß es in der DDR unter den Künstlergenerationen einen ganz guten Konsens gab. Es gab Vaterfiguren, die einen gedeckt haben. Die geholfen haben, wenn sie in entsprechenden Positionen saßen. Bei mir war's zum Beispiel Konrad Wolf.
Ist es ein Kompromiß für sie, für das Fernsehen zu schreiben?
Sicher. Wenn man vom Film kommt, will man Film weitermachen. Ich sehe aber auch, daß die Reizschwellen im Kino hochgezogen und dadurch auch verflacht sind. Ich habe wenig Lust, mich dem total anzupassen. Aber vor einem viertelvollen Kino zu sitzen, macht auch keinen Spaß. Da hat man im Fernsehen auf Anhieb mehr Zuschauer. Und dann noch das Kapitel, das Drehbuchautoren von hier auf einen Markt kamen, der viel enger ist. Die DEFA gibt's ja nicht mehr.
Kinoproduzenten klagen gerne über Autorenmangel. Sind die Autoren für die Krise des deutschen Films mitverantwortlich?
Von mir liegen Bücher herum, die nicht produziert werden. Ich wüßte nicht, daß die irgend jemand noch lesen will.
Wie sehen ihre Erfahrungen mit dem West-Fernsehen aus?
Bisher nicht schlecht. Die 90-Minuten-Filme, die ich gemacht habe, waren beim „Großen Fernsehspiel“. Das heißt offenbar aus traditionellen Gründen so. Anderswo kam ich gar nicht durch's Betriebstor. Wenn ich davon leben würde, nur für's Fernsehen zu arbeiten, sähe es übel aus.
Sie haben Jurek Becker als Autor von „Liebling Kreuzberg“ abgelöst. Was haben sie verändert?
An Lieblings Charakter wird sich nichts ändern. Das ist ja auch nicht meine Figur. Aber ich hab' den Liebling aus seinem gewohnten Milieu rausgenommen. Hab' ihn mit einem Kiez im Berlin-Mitte konfrontiert. Ein beliebter Drehort, wie ich festgestellt habe (lacht). Die Probleme sind anders als die, die er früher gehabt hat. Das hat die Zeit mit sich gebracht. Die Stadt steckt voller Konflikte, ist aufgeladen vom Ost-West-Konflikt. Das alles wird sich wiederspiegeln. Ich gehe in der Serie nicht an die Königsebene. Es kommt kein Honecker-Prozeß vor. Das Wort Stasi fällt selten. Es sind kleine Leute und kleine Fälle.
In „Vater, Mutter, Mörderkind“ geht es auch um das Entdecktwerden. Können Sie sich vorstellen, über ein anderes aktuelles Thema zu schreiben, beispielsweise über Christa Wolfs Entdeckung als Stasi-IM?
Da sie nun mal eine Autorin und Kollegin nennen: Das ist natürlich ihr Stoff. Soweit ich Christa Wolf richtig verstand, hat sie schon lange vor, das abzuarbeiten.
Sie reizt es nicht, darüber etwas zu machen?
Ich bin dabei, ein Buch herauszugeben. Das bezieht sich darauf, daß zwei andere Autoren und ich in den siebziger Jahren eine Autoren-Edition ins Leben rufen wollten. Eine ganze Reihe von DDR- Autoren haben uns dafür beliefert. Nachdem es uns nicht geglückt ist, weil wir dafür keinen Verlag fanden, stellte sich nach '89 heraus, daß die Stasi das zu einem „operativen Vorgang“ erklärt hat. Daß wir alle sowieso oder wegen dieses Projekts abgehört wurden. Daß jeder von uns einen IM hatte, und daß es ein erklärtes Ziel war, das Projekt zum Scheitern zu bringen. Wir sind gerade dabei, diese Stories noch einmal zu sammeln. Das Material, das wir dazu bei der Gauck-Behörde gefunden haben, wollen wir auszugsweise – sonst würde das Ganze zu dick werden – einarbeiten. Ich weiß nicht, was bei diesem Prozeß bei mir herauskommt. Wir sind noch in einem ganz frühen Stadium. Die meisten, die damals mitgemacht haben, wissen noch gar nichts von dem Projekt. Aber wir haben schon einen Verlag: Suhrkamp will das als Taschenbuch herausbringen. Ich tauche mit dieser Arbeit zum erstenmal direkt in diesen Komplex ein. Das ist eine bessere Voraussetzung als sich hinzusetzen und zu sagen, „ich mach da mal was zum Thema“.
Haben Sie inzwischen in Ihre eigene Stasi-Akte geschaut?
Ich komme nicht dazu. Ich habe auch einen gewissen Horror davor. Wenn ich höre, wieviel die anderen Kollegen da an Akten-Metern haben... Das könnte ich im Moment weder zeitlich – vermutlich auch nicht psychisch – verkraften.
Interview: Sabine Jaspers
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