: Aufstieg und Fall des Bettino C.
■ Kein Politiker hat das republikanische Italien so moderni- siert, keiner die Bürger so politikverdrossen gemacht wie Craxi
Bettino Craxi war seit 1976 die zentrale Figur der italienischen Politik – Sekretär einer kleinen Partei, reich allenfalls an Spaltungen, eingezwängt zwischen Christdemokraten und Kommunisten. Craxi wurde 1976 gewählt, weil man ihn für schwach hielt und ihm keinerlei Ideen zutraute. Seine Partei war am historischen Tiefpunkt, mit neun Prozent; Craxis Vorgänger De Martino hatte soeben die Zusammenarbeit mit der DC aufgekündigt. Es entstand der historische Kompromiß, an dem Aldo Moro für die DC und Enrico Berlinguer für den PCI seit langer Zeit arbeiteten.
Craxi trat den Krieg gegen die großen Parteien an; seine Stärke waren die Schwächen, die der historische Kompromiß aufwies. Da war der Terrorismus, 1978 war hier das entscheidende Jahr mit der Entführung und Ermordung Aldo Moros. Im selben Jahr starb Paul VI., jener Papst, der den historischen Kompromiß ermöglicht hatte. Er wurde beerbt von Johannes Paul II., Karol Wojtyla – die Katholiken annullierten die Zusammenarbeit zwischen DC und PCI. In diesem Jahr war es auch, daß der PSI hartnäckig um die Wahl eines der Ihren ins Amt des Staatspräsidenten kämpfte; Sandro Pertini kam am Ende durch.
Der Schlüssel, mit dem Craxi nun Politik machte und dem PSI wieder Autonomie verschaffte, bestand darin, der DC Teile der Macht abzuringen und dem PCI die Glaubwürdigkeit seiner Ideologie zu nehmen. Craxis Meisterstück war die Diskreditierung von PCI-Chef Berlinguer, den er einerseits als leninistisch und UdSSR- freundlich denunzierte, andererseits auf seinem wichtigsten Gebiet, der Arbeiterpolitik, als Kompromißler darstellte.
1979, als ihm Pertini erstmals die Bildung einer Regierung anbot, schlug er noch aus – er wußte, daß er das nicht ohne Zustimmung der ausländischen Partner, speziell der USA annehmen konnte. Doch dann gelang es der Regierung Cossiga vor allem aufgrund der Hilfe des PSI, die Cruise Missiles auf Sizilien zu stationieren. Damit war der Weg für Craxi frei. 1983 wurde er Ministerpräsident – mit dem Versprechen, nach drei Jahren für den Rest der Legislaturperiode den Platz für einen Christdemokraten zu räumen. Doch er hielt sich nicht an den Pakt, zwang zu vorzeitigen Neuwahlen, sorgte danach für die Wahl des schwachen Giovanni Goria zum Ministerpräsidenten, demontierte ihn sofort und tat Gleiches mit seinem Nachfolger, De Mita. Craxi galt im Volk seither als der Mann, der Regierungen ein- und absetzt.
Dann kam das Ende des PCI, Craxi erkannte, daß eine große Reform des Staates notwendig würde; er suchte die Direktwahl des Staatschefs durchzusetzen und wollte selbst dieser neue, starke Mann werden. Doch inzwischen zeigte sich, daß er zwar Moro und Berlinguer besiegen konnte. Doch er war nicht imstande, seiner eigenen Partei eine inhaltliche Linie zu geben. Statt dessen beraubte er die Partei jeglicher interner Diskussion und Kreativität.
Sein Abstieg begann 1991 mit einem unscheinbaren Ereignis: Er forderte die Wähler auf, sich nicht an einem Referendum zu beteiligen, das von einer quer durch die Reihen gehenden Allianz durchgesetzt worden war. 27 Millionen Italiener, fast 70Prozent der Wahlberechtigten, gingen trotzdem zu den Urnen. Ein Plebiszit, um jenen Mann abzusetzen, der dem Volk mittlerweile als Symbol der Partitokratie erschien: Craxi hatte sich selbst widersprochen, als er sich gegen die Reform aussprach und statt dessen einen Fünfjahrespakt mit den Christdemokraten schloß – gerade er, der stets die Unbeweglichkeit der großen Blöcke der Politik, der Katholiken und der Kommunisten kritisiert hatte.
Kein anderer Politiker hat das republikanische Italien so verändert wie Craxi. Italien ist heute ein westliches Land, und das ist sein Verdienst. Doch daß heute Politik von eher blassen Christdemokraten wie dem Leiter des „Referendums“-Pakts, Mario Segni, und dem aus dem Nichts gekommenen Führer der oberitalienischen „Ligen“, Umberto Bossi, gemacht wird, ist die Konsequenz von eineinhalb Jahrzehnten Craxi. Gianni Baget Bozzo
Der Priester Gianni Baget Bozzo (70), ist sozialistischer Europaabgeordneter. Er wurde wegen unerlaubter politischer Tätigkeit vom Vatikan aus dem Priesteramt gejagt. Lange Zeit Berater Craxis, hat er sich Ende der 80er Jahre vom PSI-Chef entfernt, seit dessen Führungsstil immer weniger parteiinterne Kritik zuließ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen