Chance oder Kapitulation?

Energiekonsens: Beim ersten taz-Forum demonstrieren die Kontrahenten der neuen Atomdebatte, wie weit ihre Positionen auseinanderklaffen  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Ohne Einstieg in eine alternative Energieversorgung wird zum Ende des Jahrhunderts ein „Automatismus“ einsetzen, der uns eine neue Generation von Atomkraftwerken beschert. Diese unangenehme Perspektive habe die rot-grüne Landesregierung in Hannover dazu veranlaßt, den Atomausstieg „nicht immer nur zu fordern, sondern aktiv etwas dafür zu tun“. So verteidigte die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) am Donnerstag abend die bevorstehenden Verhandlungen über einen neuen Energiekonsens. Beim ersten taz-Forum mußte sich die frühere Greenpeace-Aktivistin mit dem Generalbevollmächtigten des Deutschen Atomforums, Thomas Roser, dem Gegner der aktuellen Konsensinitiative und dem Energieexperten Lutz Mez von der Freien Universität Berlin und einem ausnahmslos atomkritischen Publikum auseinandersetzen.

Ohne Umschweife erklärte Roser, worum es der Atomwirtschaft bei den Verhandlungen geht, die in den nächsten Tagen in Bonn aufgenommen werden sollen: um eine „langfristige Perspektive“ zur Nutzung der Kernenergie und verläßliche Rahmenbedingungen für künftige Investitionen im Atomsektor. Dabei hält es das Deutsche Atomforum, eine Art Propagandaabteilung der Nuklearwirtschaft, für ausreichend, daß „sich die politische Ebene einigt“. Ein „gesellschaftlicher Konsens über ethische Fundamentalkonflikte“ sei mit „den Mitteln der Demokratie“ ohnehin nicht zu erzielen. Diese Weisheit hat praktische Konsequenzen. Der Präsident des Atomforums, Claus Berke, forderte schon Ende Januar, die geplante Arbeitsgruppe aus Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften und Umweltverbänden ersatzlos zu streichen. Für ein „selbständig agierendes Sachverständigengremium“ neben dem Politikerzirkel sei „kein Raum mehr“.

Genau eine solche Perspektive ist es, die den Atomkritiker Lutz Mez die „politische Kapitulation“ vor den Interessen des „atomindustriellen Komplexes“ fürchten läßt. Das „hehre Wort ,Konsens' wird mißbraucht, um die SPD über den Tisch zu ziehen“, schimpfte Mez. Tatsächlich müsse genau umgekehrt verhandelt werden als derzeit geplant. Also nicht über ausgedehnte Restlaufzeiten für Altreaktoren und Zukunftsoptionen für neue, noch größere Meiler, sondern über „Energiesparen so schnell wie möglich“.

Monika Griefahn wehrte sich vehement gegen den aus dem Publikum geäußerten Verdacht, sie habe sich stillschweigend von der Ausstiegsforderung verabschiedet. Auch für sie sei „der Ausstieg das einzige, was am Ende rauskommen kann“. Zur möglichen Zeitperspektive erinnerte die Umweltministerin an die Greenpeace- Position, wonach der Stillegungsfahrplan an die kraftwerksinternen Lagerkapazitäten für abgebrannte Brennelemente gekoppelt werden soll. Das letzte AKW müßte dann etwa im Jahr 2000 ausgeknipst werden. Dies sei „ein Vorschlag, mit dem man operieren kann“.

Die Chance, daß man sich schließlich auf einen schrittweisen Ausstieg einigen könne, sieht Griefahn bei „fifty-fifty“. Die großen Unternehmen treibe das „inhärente Interesse“, technisch eine führende Rolle auf der Welt zu halten. Das sei mit der „Dinosaurier- Technologie“ Atomenergie nicht mehr zu machen, und damit könne man die Konzerne „ködern“. Die Verhandlungen seien auf ein Jahr befristet: „Was also“, fragte die Ministerin, „spricht dagegen, es zu versuchen?“

Das taz-forum – Auftakt einer Veranstaltungsreihe, die im März in Hannover und Hamburg fortgesetzt wird – lockte im Ostteil Berlins ganze dreißig Interessierte an. Die Anti-AKW-Bewegung, das belegte der Abend einmal mehr, findet nicht mehr an den Bauzäunen statt, nicht mehr auf der Straße und auch nicht mehr im Saale. Die Hüttendorf-Appartements stehen heute in den Umweltministerien der Länder.