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Wolfsburg ist nicht Duisburg-Rheinhausen

■ Zwar gibt es im VW-Stammwerk keine Panik wie im Stahlbereich, aber bei geplanten 7.000 Entlassungen herrscht Angst vor dem Sozialplan – eine Reportage von JÜRGEN VOGES

Durch Mittellandkanal und die Gleise des Hauptbahnhofs getrennt liegen sie sich gegenüber, das Stammwerk von VW und die Stadt Wolfsburg – die es ohne das Werk nicht geben würde. Nördlich des Kanals zieht sich der zwei Kilometer lange Hallentrakt hin, gegenüber liegt das von vierspurigen Straßen durchzogene Zentrum der 130.000-Einwohner-Stadt – in der kein Gebäude älter als das Werk ist. Gut gelebt hat die Stadt bisher mit und von VW, beim Durchschnittseinkommen liegen die Wolfsburger in Niedersachsen vorn, auf 100 Wolfsburger sind 66 Autos zugelassen – das ist bundesdeutscher Rekord. Und an Sozialhilfe hat die Stadt pro Einwohner gerechnet nur die Hälfte des Landesdurchschnitts zu zahlen.

Doch nun ist Krise bei Volkswagen. Vom „schärfsten Abschwung in der deutschen Automobilindustrie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ und von einer „sehr schwierigen Phase des VW-Konzerns“ sprach der neue Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Ferdinand Piäch, vor zwei Wochen auf einer Betriebsversammlung. Bisher will der Konzern bis 1997 weltweit 36.000 ihrer 276.000 Arbeitsplätze abbauen; in den sechs westdeutschen Werken soll die Zahl der Beschäftigten um 12.500 auf 110.000 sinken. Im Wolfsburger Stammwerk sollen 6.-7.000 der 58.400 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verlieren. Das ist schon seit Herbst vergangenen Jahres geplant. Ferdinand Piäch will in diesem Jahr trotz des Absatzeinbruchs von 20 Prozent „schwarze Zahlen schreiben“ und kündigte der Betriebsversammlung umfassende Sofortprogramme zur Senkung der Kosten und zur Steigerung der Produktivität an.

Hinter dem ersten Hallentrakt, der vor 50 Jahren für den nationalsozialistischen „Kraft-durch-Freude-Wagen“ erbaut wurde, liegt ein zweiter, der in den 50er und 60er Jahren errichtet wurde, im gleichen Stil. Ein Eingang in der Mitte führt zu Halle 10, hier werden Golf und Vento endmontiert. Im Parterre befinden sich die Lager und Sozialräume, im ersten Stock hängen Autos an den Bändern, die hier die letzten Teile erhalten wie etwa die Räder oder die Einrastbolzen für die Sitze. Die Wagenfertigmontage ist der personalintensivste Bereich der Produktion, hier wird montiert, was Roboter (noch) nicht montieren können.

Sprecher der Vertrauenskörperleitung der „1.100 Kollegen zählenden“ Abteilung ist Alfred Heilmann, der seit über 16 Jahren täglich von Ummern „mitten aus der Heide“ nach Wolfsburg pendelt. Der 40jährige Vertrauensmann hatte einst daheim Elektroinstallateur gelernt. Doch nach Heirat und ersten Vaterfreuden zählte eben, wie bei so vielen VW- Arbeitern, daß in Wolfsburg gut drei Mark mehr pro Stunde zu verdienen waren. „Bis Ende letzten Jahres haben wir hier noch jeden Samstag gearbeitet, immer abwechselnd eine der beiden Schichten“, erklärt Heilmann. Natürlich hätten viele Kollegen schon länger gewußt, daß irgendwann der Schnitt kommen müsse. Doch jetzt sei jedem klar: „Wir gehen schweren Zeiten entgegen.“ Die Kollegen würden deswegen „für ihre Arbeitsplätze kämpfen“.

Doch VW ist nicht Krupp- Rheinhausen. „Hier gibt es keine Panik wie im Stahlbereich, sagt der Vertrauensmann. Bei VW werde individuell um den Arbeitsplatz „gekämpft“: Der Krankenstand ist seit Anfang des Jahres um drei Prozent gesunken, manche arbeiten heute bis in die Pausen hinein. „Nicht der Druck von oben steigt, die Leute legen sich von sich aus mehr ins Zeug“, sagt Alfred Heilmann und findet dies als Gewerkschafter „bedenklich“.

Das Unternehmen läßt sich den Betriebsfrieden einiges kosten

Die Stimmung war gedrückt, als Ferdinand Piäch auf der Betriebsversammlung sprach. Doch mit Pfiffen oder Buhrufen haben ihm die Arbeiter nicht geantwortet. Bei VW hat es schon immer eine spezielle Art von sozialen Frieden gegeben. Und das Unternehmen, das nun auf drastisches Sparen setzt, hat sich diesen Betriebsfrieden stets einiges kosten lassen. Für die höheren Löhne sorgt der VW- Haustarifvertrag, der – von ein paar Stunden Warnstreik abgesehen – noch immer ohne Arbeitskampf verlängert wurde. Die 12.500 Arbeitsplätze will auch der „Neue“ sozialverträglich abbauen.

Seit Anfang des Jahres werden nicht nur in Wolfsburg „Aufhebungsverträge“ angeboten: Wer freiwillig seinen Arbeitsplatz räumt, erhält eine Abfindung zwischen 20.000 und 75.000 Mark, je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit. Inzwischen hat auch jeder VW-Beschäftigte die Möglichkeit, eine bis zu fünfjährige Arbeitspause einzulegen – Wiedereinstellung garantiert. Der Geschäftsführer des Gesamtbetriebsrates, Hans-Jürgen Uhl, will noch mehr: es solle ein Angebot auf Teilzeitbeschäftigung für alle geben. Außerdem müsse eine „Altersregelung“ ab dem 56. Lebensjahr vereinbart werden, auch wenn dies für das Unternehmen ein „Riesenkostenfaktor“ sei. Denn dabei hat das Unternehmen finanzielle Verluste auszugleichen, die den älteren Arbeitern durch ihr Ausscheiden in die Arbeitslosigkeit entstehen.

Vertrauensmann Heilmann befürchtet allerdings, daß „diesmal längst nicht so viele freiwillig gehen werden wie erhofft“. Auch die Furcht vor dem Sozialplan geht im VW-Stammwerk um. „Bei einem Sozialplan müssen sich immer zehn aufstellen, und davon werden dann zwei ausgeguckt, die gehen müssen“, gibt sich Alfred Heilmann pessimistisch.

Seit Anfang des Jahres wird bei VW in Wolfsburg jeweils eine Woche im Monat kurzgearbeitet. „Bei Kurzarbeit sind gerade noch die Kneipen und Baumärkte voll“, witzelt Heilmann. Der zweitgrößte Arbeitgeber in Wolfsburg ist nach VW die Stadtverwaltung mit knapp 5.000 Beschäftigten. Sieht man von den Zulieferern für Volkswagen ab, so sind die Bemühungen, hier im ehemaligen Zonenrandgebiet noch andere Industriebetriebe anzusiedeln, fehlgeschlagen; dank VW war das Lohnniveau hoch, die Arbeitskräfte knapp und das Stadtsäckel stets gut gefüllt. Doch durch die Krise bei VW wird Wolfsburg schon im Jahr 1993 70 Mio. Mark an Gewerbesteuereinnahmen verlieren; das entspricht über 10 Prozent der gesamten städtischen Einnahmen. So mußte sich die CDU-regierte Stadt einen rigorosen Sparhaushalt verordnen. Schon einmal, Mitte der 70er Jahre, hat VW in seinem Wolfsburger Stammwerk über 10.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert. Damals schrumpfte auch die Einwohnerzahl der Stadt am Mittellandkanal.

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