: Romeo und Julia am Charakterberg
■ Claus Peymann inszenierte Peter Turrinis Alpenglühen / Eine Koproduktion von Thalia und Burgtheater
/Eine Koproduktion von Thalia und Burgtheater
Wie Theaterlackmus, das in die Bühnenchemie getaucht eine klare farbliche Analyse der emotionalen Mischverhältnisse liefert, so behandelt Claus Peymann seinen Berg. Er, der durch die bühnengreifende Glasfront der „ärmlichen“ Hütte blickt, in der Peter Turrinis Menschen sich ihre Mitteilungen machen, kennt dabei weder Örtlich- noch Zeitlichkeit. Er beginnt als lila 3D-Ölbild in Gelsenkirchner Barock, verliert seine Unschuld durch drei Flackscheinwerfer, die dahinter emporscheinend den sich ankündigenden Tag anzeigen und verwandelt sich dann für eine längere Zeit in das Paramount-Movie-Logo. Doch der Berg kann noch mehr: Er kann ebenso die Kulisse zur Geierwally-Show sein wie Caspar David Friedrichs Eisschollen und, als sei das nicht schon abgründig genug, auch eine Unterwasserlandschaft. Und alles in Einklang mit lebenden Wesen. Wenn er dann endlich in gleißendem Hellblau jegliche alpinen Attribute abgelegt hat und wie eine Pop-Art-Ikone ästhetisches Gift verleuchtet, dann wissen wir, das Ende ist nah.
Es ist das Ende von langen Verwandlungen und Verwachsungen, eine Falle für alle vorher ausgelegten Fallen, ein Theaterende eben. Und dennoch: Nach zweieinhalb Stunden appetitlichen Schauspiels bleibt der Hunger ungestillt. Denn dort, unter dem Charakterberg, umarmen sich zwei, über die man eigentlich nichts weiter erfahren hat, als daß sie Talent zur Selbsttäuschung und -inszenierung besitzen und Shakespeares Romeo und Julia auswendig deklamieren können. Oder beinhaltet Turrinis Identitäts-Poker in einer fahlen Seitenzeit der Welt etwa ein zeitgemäßes Gegengift für Felix Austria, gegen das ein Fischkopf resistent ist?
Dabei liegt es sicherlich nicht daran, daß zuwenig passiert. Turrinis Alpenglühen liefert seinen Schauspielern unzählige obskure Häutungen, die diese dankbar und strekkenweise begeisternd erleben, doch am Ende steht trotzdem der Schwund. Der alte Blinde (Traugott Buhre), der als altersgeiler Klausner im hintersten österreichischen Bergwinkel beginnt, durchläuft Wendungen zum Lügner, Seher, Vater, Altnazi, dem seine Vergangenheit weniger vertuschenswert erscheint, als künstlerische Mißerfolge, und schließlich zum Phantom eines Theaterleiters.
Jasmine (Kirsten Dene), die als eine auf Bitte vom Blindenverband in die Hütte geschickte Prostituierte die Szene betritt, mutiert anders als der Blinde durch Brüche. Die abgetakelte Nutte eröffnet sich als einsame Sekretärin, dann als lebensblinde Schauspielerin, die über ihrer einzigen Rolle der Julia alt ge-
1worden ist. Ihre gemeinsame Geschichte der Lügen springt ab im Schein von ordinärer Ehrlichkeit, gleitet über ebenso luftige Erkenntnisse von bitteren Wahrheiten, um schließlich in der gemeinsamen Phantasmagorie mit Shakespear- schen Dialogen zu landen. Im Sport
1käme hier das Zeichen für „ungültiger Versuch“.
Denn zu linear entwickelt sich das psychologische Maskenspiel, das oft komödienhafte Züge bekommt, um sich bis zum Publikum durchzuschreiben. Wenn dieses dennoch mit Begeisterung reagiert,
1wie bei der Premiere am Donnerstag, dann liegt das an zwei unvergleichlichen Schauspielern, die auch einen oft geschwätzigen Text für den Zuschauer steuern können. Und ein bißchen auch an der Farbpartitur eines Zauberbergs.
Till Briegleb
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