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"Modernes Land-Leasing"-betr.: "Rußlands Demokratie liegt im Sterben... und der Westen redet und redet", taz vom 17.3.93

betr.: „Rußlands Demokratie liegt im Sterben ...und der Westen redet und redet“, taz vom 17.3.93

[...] „Auf der Grundlage von Rußlands natürlichen Ressourcen könnten die westlichen Regierungen vermittels der Weltbank oder anderer internationaler Institutionen Rußland mit Hunderten Milliarden Dollar versorgen. Die Anteile könnten dann an Privatfirmen verkauft werden, die ihrerseits die Kredite zurückzahlen würden.“ Diesen Vorgang nennt Meads recht treffend „modernes Land- Leasing“.

Meads Empfehlungen lesen sich wie eine Gebrauchsanweisung, um ein Land in die Abhängigkeit zu treiben, sich über privatisierte Schulden seine Wirtschaft einzuverleiben, billig die Rohstoffe herauszupumpen und es sich schließlich – wie beim „Leasing“ üblich – preiswert aneignen zu können. Früher nannte mensch das schlicht Neokolonialismus. Die taz bietet es uns als ein diskussionswürdiges Konzept an, die „Demokratie in Rußland zu retten“. Eine Demokratie, die solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Daß Herr Walter Russell Mead den Versailler Vertrag in Frage stellt, weil er „Millionen Deutsche dazu verurteilte, in neuen, antideutsch eingestellten Staaten zu leben“, legt dann auch nahe, daß er weniger ein Freund der Demokratie ist als des Kolonialismus. Denn wie anders als durch Abtrennung von den Teilungsmächten hätte Polen, das er bezeichnenderweise als antideutsch beschimpft, wiederentstehen können? Natürlich bedeutete auch die Zerschlagung des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches, daß die ehemaligen KolonistInnen jetzt in den Staaten der ehemaligen Kolonialvölker lebten. Was den Völkern Osteuropas jahrhundertelang zugemutet wurde, scheint Russell für das deutsche Herrenvolk aber unzumutbar.

Als US-Amerikaner glaubt er so etwas wohl sagen zu dürfen. Wer immer den Artikel ausgesucht (und nicht gekürzt) hat, war aber wahrscheinlich deutsch. Ziemlich deutsch. Johann Knigge, Hamburg

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