: Luftgepolstertes aus Bayern
■ Dr. Martens: Betrachtungen über die seltsame Metamorphose von Arbeitsschuhen zu Jugendkulturobjekten und schließlich Boutiquenschick
Betrachtungen über die seltsame Metamorphose von
Arbeitsschuhen zu Jugendkulturobjekten und schließlich Boutiquenschick
Ein Skiunfall war schuld. Mit einem ziemlich lädierten Fuß endete für Dr. Klaus Maertens das Bemühen, auf Brettern einen Berg hinunterzugleiten — im Jahre 1945 irgendwo in den bayrischen Alpen. So wollte, nein, so konnte er nicht rumlaufen. Drum suchte er einen alten Freund auf, den Ingenieur Dr. Herbert Funk, und präsentierte ihm einen Entwurf für ein in seiner Situation adäquates Fußwerk. Auf einem Luftpolster wollte er gehen, lange bevor eine amerikanische Sportartikelfirma auf die gleiche Idee kam und nun mit ihren Air- Produkten den Max raushängen läßt. Zusammen entwarfen sie also eine luftgepolsterte Sohle, die sie 1959 als Arbeitsschuhe verkauften. Ziemlich erfolgreich übrigens in England, wo sie in einer kleinen Fabrik in Northamptonshire gefertigt wurden. Der dortige Erfolg führte dazu, daß der Name der Beschuhung anglisiert wurde — aus Dr. Maertens wurde „Doc Martens“.
„Besteht eigentlich die Gefahr, daß man mich für einen Skin hält, wenn ich die Dinger trage?“ fragte mich unlängst ein nicht mehr ganz in die Gepflogenheiten der Jugendkultur eingeweihter Redakteur einer renommierten Wochenzeitung, als er seine Docs (die bewährte Sohle als Halbschuhe mit Schnalle) präsentierte.
Die Jugendkultur eroberten die in Bayern kreierten Arbeitsschuhe schon Ende der 6Ts, als Skinheads versuchten, auch durch die Wahl der Schuhe ihren proletarischen Standpunkt zu untermauern — beliebtestes Modell bei den damals noch gänzlich unpolitischen Glatzen: „8-eyelet cherry-reds“. Bevor Ende der 7Ts die Punks und vor allem die damals aufkommende New- Wave-Bewegung sich dieser damals preiswerten Beschuhung annahm, zeigte sich Elton John in der Rock- Oper „Tommy“ in überdimensionierten „Cherry-Reds“. Anfang der 8Ts, das Sortiment war auf etliche Varianten neben den stahlbekappten Arbeitsstiefeln und Schuhen in Rot und Schwarz angewachsen, reüssierten sie zu einem wichtigen Insignium der Pop-Kultur. Weg war der Ruch des Proletarischen, yuppieske Boutiquen nahmen sich dieses Produkts an, die Modelle wurden edler und teurer. An die „Skinkultur“ erinnerte nur noch die
1Sohle, die luftgepolsterte.
Die Gefahr, für einen Skin gehalten zu werden, besteht also nicht. Auch die knappbehaarten Jungs mit der ziemlich widerlich anmutenden Art, ihre Freizeit zu gestalten, haben Unterscheidungsmerkmale für die einzelnen Fraktionen dieser Kaste gefunden. Schwarze Schnürsenkel signalisieren, daß es sich um Oi-Skins handelt — um als unpolitisch geltende Trinksportler. Rote Schnürsenkel sollen eine ebenso rote Gesinnung demonstrieren, und die Farbe weiß ist dem rechtsradikalen Bodensatz dieser Szene vorbehalten, sagt man. Wie alle Insignien der Subkulturen sind natürlich auch solch feine Unterscheidungskriterien schnell vergänglich. kader
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