: Wenn der 68er erzählt-betr.: "25 Jahre 68", taz vom 10.4.93
betr.: „25 Jahre 68“,
taz vom 10.4.93
Es war wohl zu Anfang der achtziger Jahre. [...] Auf der Suche nach einer guten Radiosendung geriet ich in ein Treffen ehemaliger 68er, die in Paris zusammen mit Daniel Cohn-Bendit demonstriert hatten und ihre Erinnerungen austauschten. Einer, der damals neben Cohn-Bendit gestanden hatte, als die Polizei mit der Knüppelorgie begann: „Ich werde es nie vergessen: Als sie mit erhobenen Schlägern auf uns zustürzten und wir, die Hände über dem Kopf, uns duckten, sah ich, wie Dany gerade stehenblieb und ungeschützt dem Angreifer direkt ins Gesicht blickte. Der hielt inne, ließ den Arm sinken und wendete sich ab.“
Diese Schilderung ist mir in Erinnerung geblieben. Allerdings anders als jene alten Herren, die bis heute nicht verstehen und verzeihen können, daß eine Jugendgeneration sich die Freiheit genommen hatte, gegen die festgefahrenen Normen einer Vätergeneration anzurennen, die sich anmaßte, ihre kriegerische Logik mit Pomp und kirchlich abgesegnetem Tschingbumderassasa an ihre Nachfahren weiterzugeben, möchte ich fragen: Wem, wenn nicht der Jugend, steht auch das Recht auf Irrtum zu?! – Aber damit sind die wohl überfordert, die nicht den Mut hatten und haben, ausgetretene Pfade zu verlassen. Daß sie jetzt wieder die offene Bühne betreten und das Rad zurückdrehen, ist nicht den damals Jungen (1968) anzulasten.
Es wäre die Aufgabe der heute Jugendlichen, zu verhindern, daß diesmal im Namen einer „neuen Weltordnung“ und der immer lauter werdenden „Auschwitzlüge“ ihr Väter-Land wieder in die Barbarei getrieben wird. Sie werden es schwer haben in einer Zeit der massiven medialen Meinungsmanipulationen. Marianne Weuthen, Neuss
Ich möchte bloß mal wissen, weshalb das Jahr 1968 so hochgejubelt wird? Im Editorial der taz ist davon die Rede, daß 1968 „ein außergewöhnliches Jahr (war), das längst zum Mythos geronnen ist“. Ich habe das anders in Erinnerung.
Ich bin Jahrgang 1944. Öffentliche Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze und den Vietnam-Krieg begannen bereits 1965. Den entscheidenden Einschnitt in der Entwicklung meines politischen Bewußtseins brachten die Auseinandersetzungen um den Besuch von Schah Reza Pahlewi und der Schahbanu Farah Diba in Hamburg und Berlin. Das war 1967. Benno Ohnesorg, der gegen den Schahbesuch demonstrierte, wurde am 2. Juni 1967 erschossen. Das nahm uns mit und brachte uns auf die andere Seite. Da wurden wir aktiv, zunächst noch richtungslos, zielstrebiger dann nach der Lektüre von Bahman Nirumands Buch „Persien, Modell eines Entwicklungslandes“ und Robert Havemanns Buch „Dialektik ohne Dogma“. Wenn es denn um den terminus a quo geht: 1967 statt 1968!
Negt schreibt dazu in der taz ganz richtig: „Nach dem 2. Juni 1967 herrschte einhellige Empörung, die weit ins ,bürgerliche Lager‘ reichte ... Im April '68 hatte sich die Stimmungs- und Gesinnungslage der Nation bereits stark geändert. Wir hatten es mit einer sich ,liberal‘ gebenden Öffentlichkeit zu tun, die ... die Rebellion der Studenten und Jugendlichen ... kriminalisiert hatte.“ Der Mythos wird zur Chimäre, wenn Matthias Horx, Jahrgang 1955, in seinem – ansonsten lesenswerten – Buch „Aufstand im Schlaraffenland – Selbsterkenntnisse einer rebellischen Generation“ von 1991 den Tod Benno Ohnesorgs in das Jahr 1968 verlegt (S. 15)!
1968 eignet sich als Jahr des Gedenkens an den Anschlag auf Rudi Dutschke. (Passend darum der Artikel „Ostersonntag im Rudi- Dutschke-Haus“ in der taz vom 13.4.93). 1968 aber zum namengebenden Jahr der deutschen Friedens-, Freiheits- und Reformbewegung jener Zeit auszuwählen, dafür gibt es nur eine Begründung: Die Vorgänge in Deutschland als solche von internationalem Rang zu deuten, parallel zu denen in den USA, in Frankreich, in der CSSR, in Vietnam. Da ist ja was dran. Richtig ist aber auch: Ich und die meisten meiner Generation waren und sind keine selbstbewußten Kosmopoliten. Wir kommen zwar gern alternativ und liberal daher, aber wir sind zuerst einmal Deutsche und viel deutscher, als wir glauben und merken. Vor allem sind wir – nolens volens – die künftigen Machthaber Deutschlands. Die deutsche Kultur- und Bildungslandschaft haben wir schon gestaltet. Ergebnis: Sehr mager. Organisation statt Geist. Da kommt noch einiges auf uns alle zu. Kritik und Opposition haben wir nicht zu befürchten: Die ältere Generation haben wir totgesabbelt. Die Kinder lassen uns tun und machen, wenn nur genug Kohle rüberkommt. Bleiben die Enkel. Aber das ist noch lang hin. Martin Korol, Bremen
Das „Prinzip Springer“ ist allgegenwärtig und die rote Brille für das Erkennen der Medienmonopole reicht längst nicht mehr, um die Unüberschaubarkeit der Manipulation zu beschreiben. Allgemeine Sprachlosigkeit greift um sich.
In Zeiten, in denen der Fetisch Kaufhaus so total ist wie nie zurvor, und die „Subversive Aktion“ dagegen fast ausschließlich surrealistisches Inventar moderner Museen ist, ja in solchen Zeiten erinnert man(n) gerne der Helden vergangener Revolten.
Die Nostalgie jedoch verklärt nicht selten den Blick für die bestehenden Verhältnisse: die kriegstreiberischen Worte eines Dany Cohn-Bendit für den Bundeswehreinsatz in aller Welt oder auch nur Ministersessel, Schlips und Bierbauch eines Joschka Fischer sind nur lustige Beispiele für unzählige grün-integrative Metamorphosen.
„Das Sich-Verweigern in den eigenen Institutionsmilieus erfordert eine Guerilla-Mentalität, sollen nicht Integration und Zynismus die nächste Station sein“, sprach Kultfigur Dutschke. „Um wieviel mehr erst heute!“ erwidert kämpferisch der RAF-Gefangenen Lutz Taufer und betont die Courage dieser Mentalität. [...]
Lutz Taufer fragt, was wir „Jüngeren“, weil wir wohl kaum Denkmäler draus machen, mit revolutionären Texten von damals wohl anfangen: wenigstens lesen!
Es ist Ostern, 25 Jahre nach der unglücklichsten Radtour des Rudi Dutschke, und wir verleihen der taz das oberfaule Heuchel-Ei für ihre zeitgeistreichen Verdienste! Kampf der Sprachlosigkeit! Die Kraft der Phantasie gegen das gefühlskalt herrschende System! Anarchistische Spaßguerilla – Kommando Harpo Marx
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