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Uwe Krupp überlebt plötzlich

Pinguine rutschen aus, Mario Lemieux hat Sommerpause, und Wayne Gretzky („The Great One“) zaubert wie nie / Wilde Dramatik in den Viertelfinals der National Hockey League  ■ Aus Vancouver Bernd Müllender

Das US-Steel-Building ist Pittsburghs höchster Wolkenkratzer. Dessen eishockeybesessener Hausmeister (möglicherweise auch die Gebäudeverwaltung) hatte die Beleuchtung Freitag nacht so geschaltet, daß aus vielen tausend Lampen ein leuchtender Pfeil vom Dach hinunterzeigte auf den ebenso riesigen Schriftzug „Go Pens“. Die schrille Illumination sollte den heimischen Pittsburgh Penguins den Weg weisen, wie sie im Eishockey-Viertelfinale der NHL endlich Schluß machen mit diesen aufmüpfigen New York Islanders. Schließlich haben die Pinguine mit ihrem Superstar Mario Lemieux den Stanley Cup in den beiden letzten Jahren gewonnen und auch 1992/93 bislang souverän vorne gelegen.

Aber nach sechs Spielen hatte es 3:3 geheißen. Wild gewehrt hatten sich die großen Außenseiter aus New York mit dem deutschen Verteidigerimport Uwe Krupp. Dabei sogar einmal gewonnen beim Champion, was dort als Anmaßung gewertet worden war: Das Team der Namenlosen muckte auf gegen Pittsburgh mit seinem Hockeygiganten Mario Lemieux (Number 66), mit dem langmähnigen Tschechen Jagomir Jagr, mit den Schweden Ulf und Kjell Samuelsson und Cracks wie Dave Tippett, Tocchet, Stevens. Also: „Go Pens“ ins Halbfinale gegen die Montreal Canadians, die sich mit vier schnellen Siegen gegen die Buffalo Sabres durchsetzten.

Spät in der Nacht hat ein tieffrustrierter Hausmeister alle Lampen ausgeknipst. Die Pinguine, während des gesamten Spiels feldüberlegen, hatten in der Tat verloren. Vor allem an einem Mann waren sie gescheitert: Goalie Glenn Healy. Was der Islander- Torwart hielt, mutete wie pure Hexerei an. 42 Blitzreflexe hatte die Statistik nachher aufgelistet, darunter ein halbes Dutzend feinster Schüsse von Lemieux, den Uwe Krupp zeitweise großartig manndeckte. Und doch schien das Spiel zweimal zugunsten der Favoriten zu kippen: Erst als sie, endlich, im zweiten Drittel, 1:0 in Führung gingen und der sprichwörtliche Bann gebrochen schien. Dann, als es nach einigen hübschen Kontern bis zur 57. Minute plötzlich 1:3 stand, die Penguins in den letzten drei Minuten des Matches doch noch ausgleichen konnten und die fast 20.000 im Stadion entsprechend tobten. Verlängerung, Sudden Death. Doch Uwe Krupps Team überlebte. Healy hechtete noch etwas wilder, und in der 66. Minute kam das Aus für die 66 und die Seinen. Der plötzliche Pinguintod löste, noch während der Puck im Netz zappelte, auf den Rängen ein schieres Panoptikum der Verzweiflung aus: Tausende Menschen in der gigantischen Pacific Arena, die gleichzeitig die Hände vors Gesicht schlugen, entsetzt aufschrien oder erstarrten oder in ihren Sitzschalen zusammensackten. „Unbelievable“ war wohl das meistgehörte Wort. Unfaßbar. Unmöglich. Als wären die Bayern in sieben Spielen gegen die Sechziger rausgeflogen. „Eine der größten Sensationen in der Geschichte des Stanley Cups“, bemerkte nachher ein TV-Kommentator. Und das im 100jährigen Jubiläumsjahr: „Eine Dynastie ist am Ende“, schrieb eine kanadische Zeitung.

Eine andere Ära schien schon zu Ende. Die von Wayne Gretzky, den sie nur „The Great One“ nennen. Doch Gretzky, mittlerweile 32 und im Herbst monatelang rückenverletzt, zaubert wieder Eishockey wie zu seinen großen Zeiten mit den Edmonton Oilers, als er dreimal den Stanley Cup gewann. Seit 1989 wirkt die Number 99 bei den Los Angeles Kings, und viele sagen, er spiele sogar besser denn je. Gretzky führt mit 23 Scorerpunkten die Play-off-Liste an, und was er allein in nur einem Spiel fabriziert, läßt den europäischen Beobachter fasziniert staunen und wenig schmeichelhafte Vergleiche mit der deutschen Bundesliga anstellen. Das Viertelfinale mit dem favorisierten Westküsten-Vorrunden-Sieger Vancouver Canucks war seine Serie. Gretzky kurvte, schlenzte, sauste umher, schoß und paßte perfektest im Minutentakt zu seinen Sturmpartnern Jari Kurri, Tomas Sandström und dem Kings-Sausewind auf Rechtsaußen, US-Boy Tony Granato (nomen est omen), daß den Bullen aus Vancouver (25 der 27 Cracks sind mindestens six-feet-four), kaum Check-Chancen blieben. The Great One wird ständig greater.

Gretzky war es auch, der im entscheidenden Spiel am Donnerstag das entscheidende 5:3 ins Netz der Kanadier donnerte. Canucks-Trainer Pat Quinn, der Kanada 1986 zu WM-Bronze coachte, hatte mit vielen Sprüchen versucht, die Gretzky-Show zu stoppen. Er würde nur Fouls provozieren, solche gar vortäuschen, sein Star Pavel Bure (im Fanmund: „die russische Rakete“) dagegen ungestraft an den Banden zermalmt. Aber, meinte er, „wichtiger als gesunde Körper sind in den Play-offs gesunde Hirne.“ Ob's wirklich am Gehirn lag, daß die Geheimfavoriten aus Vancouver gegen Gretzkys Raffinesse und Spielintelligenz rausgeflogen sind und die Kings nunmehr im anderen Halbfinale gegen die Toronto Maple Leafs spielen, die St. Louis Blues im siebten Spiel mit 6:0 besiegten?

Die Canucks wollen indes umgehend ihr Sommercamp ein paar Slapshots von Vancouver entfernt aufschlagen, im hochluxuriösen Chateau Whistler Resort. Whistler ist das größte und exquisiteste Ganzjahresski- und Golf-Ressort Kanadas. Wenn sie sich da mal auf die harte Puckarbeit konzentrieren können. Darüber freuen sich jetzt schon all die Großen der phantastischen Eishockey-Liga: Lemieux, Jagr, Mogilny, Kurri, The Great One und auch Uwe Krupp, der erste Deutsche in einem NHL-Halbfinale. Und natürlich alle Hausmeister von Pittsburgh.

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