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„Der hört doch die Flöhe husten“

Bei den ostdeutschen Stahl- und Metallarbeitern, die zur Zeit um Lohnprozente kämpfen, steht ihr Boß Franz Steinkühler wegen seiner Aktiengeschäfte nicht sehr hoch im Kurs. Im Westen versteht so mancher Gewerkschafter die Aufregung gar nicht.

In Hennigsdorf vor den Toren Berlins wundert sich längst keiner mehr über Franz Steinkühler. „Steini? Den haben wir vergessen, als er am Wochenende diesen blamablen Pilotvertrag in Sachsen zugestimmt hat. Wer so einen Mist gutheißt, so eine Niederlage mit Champagner feiert, der hat mit uns nichts mehr am Hut“, sagt der Streikposten am Tor der Elektrostahlwerke. „Der Typ unterscheidet sich nicht von den Spitzenpolitikern. Worum wir hier seit drei Wochen streiken, um läppische 280 Mark brutto mehr, das kann einer wie der doch gar nicht verstehen.“ Von daher paßt die Sache mit den Spekulationsgewinnen doch prächtig ins Bild. „Jetzt ist wenigstens auch dem letzten klar, zu welcher Sorte der Steinkühler gehört – zu den Kapitalisten.“

Strolch, Betrüger, Kapitalist gehört noch zu den schmeichelhafteren Bezeichnungen für den Chef der größten Gewerkschaft des Landes. Viele sehen das noch krasser. Seit bekannt wurde, daß Steinkühler seine Insiderkenntnisse als Aufsichtsrat bei Daimler-Benz für private Börsenspekulationen nutzte, ist er für die Arbeiter schlicht „das Verräter-Arschloch“. Ob seine Transaktionen legal sind oder nicht, ist dabei völlig nebensächlich. „Das ist eine Frage von Moral. Der soll die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, nicht sich Börsentips abholen bei Unternehmern.“ Wehe ihm, wenn er noch einmal mit geballter Faust auf Spekulanten schimpft. Wehe ihm, wenn er sich überaupt noch einmal blicken läßt. Mehrfach hatte er sein Kommen angekündigt, zuletzt am Montag, doch die Arbeiter von Hennigsdorf haben das Glitzern seiner Goldbrille nicht gesehen.

Echte Enttäuschung über ihren Vorreiter ist keinem der Streikenden anzumerken, eher eine stille Freude, endlich Spott über den ungeliebten Wessi auszuschütten. In fröhlicher Runde wird Skat gespielt, gereizt, und gestichelt: „Der Kerl ist doch clever. Er hat uns verkauft und sich bereichert“, feixt ein Lagerarbeiter. Für ihn wie für seine Kollegen ist klar: Der Steinkühler muß weg. „Dessen Übergangsgeld ist sicherlich höher als unseres“, höhnt ein Schlosser. „Der hat den Lohn, um den wir hier kämpfen, in der Portokasse.“ Außerdem werde er wohl ruckzuck in einem Unternehmensvorstand hocken. „In seiner Position hört der doch die Flöhe husten.“

Selbst der IG-Metall-Funktionär Schwarz kann sich nur mühsam zügeln. „Zuallererst ist das eine Gemeinheit der Medien und eine gezielte Ablenkung von den Tarifkämpfen“, versucht der Streikleiter abzulenken. „Die wollen die Gewerkschaften zerstören.“ Schließlich gehe keinen was an, was Steinkühler privat so tue. Dessen Spekulantentätigkeit sei in Wahrheit doch nur ein nachgeordnetes Problem, über das man nach dem Arbeitskampf in aller Ruhe sprechen müßte. „Natürlich bin ich persönlich schon enttäuscht über den Bärendienst, den Steinkühler uns erwiesen hat. Aber das ist nun mal das kapitalistische System. Viel schlimmer fand ich den Sachsen-Vertrag.“ Steinkühler jetzt auszuwechseln sei allerdings mangels Ersatz kaum möglich. Soll er bleiben, aber vertrauen tut ihm auch Schwarz nicht mehr: „Das einzige, worauf man sich verlassen kann, ist die eigene Kraft.“

Rechtfertigungen und stumme Resignation

„Nee, die Aufregung verstehe ich nicht. Wenn der Aktienkauf nicht auf eine linke Art abgelaufen ist, wenn der Franz nicht Insiderwissen mißbraucht hat, dann war das eine legitime Sache.“ Für einen Rücktritt, so fügt Dieter Börner ohne jeden Anflug von Zweifel hinzu, „sehe ich überhaupt keinen Grund. Von mir wird er jedenfalls weitergetragen.“ Jeder habe das Recht, Aktien zu kaufen. Die Gehaltsstruktur in der IG Metall sei zudem kein Geheimnis – auch nicht das Einkommen des Vorsitzenden, der 23.100 Mark monatlich bekommt. Börner, seit 1975 Betriebsratsmitglied bei Hoesch in Dortmund, hält die ganze Diskussion für verlogen. „Ich habe auch Aktien von Hoesch. Die habe ich vor Jahren für 16 Mark gekauft. Heute sind die 250 Mark wert. Bin ich deshalb ein schlechter Gewerkschafter? Soll ich die wegschmeißen?“ Vielleicht habe Steinkühler einen Fehler gemacht, aber daß ausgerechnet der „verurteilte Steuerschwindler“ Graf Lambsdorff den Rücktritt des IG-Metall-Chefs fordere, „ist unverschämt und dreist“.

Willy Scherer, früher Betriebsratsvorsitzender bei Küppersbusch in Gelsenkirchen und im Aufsichtsrat der AEG, wertet den Aktiendeal weit kritischer. Damit habe Steinkühler „der Organisation schwer geschadet“. Auf einer Kreisdelegiertenkonferenz der IG Metall hätten sich viele am Montag abend entsetzt gezeigt. Wolfgang Schaumberg, langjähriger oppositioneller Betriebsrat im Bochumer Opelwerk, befürchtet eine „weitere Vertiefung der ohnehin schon verbreiteten Resignation“ bei den Aktivisten. Mit „giftigem Spott“ hätten gestandene IG-Metaller reagiert. Schaumberg, dessen Wiederaufnahme in die IG Metall nach jahrelangem Gerangel unmittelbar bevorsteht, mußte sich gestern dies anhören: „Seid ihr eigentlich bekloppt, daß ihr in den Verein wieder rein wollt?“

Während einzelne Betriebsräte wie Gerd Cebulla von Opel nicht glauben, daß Steinkühler als Vorsitzender überlebt – „der kann doch unmöglich jetzt noch als Arbeiterkämpfer auftreten“ –, hieß es gestern nach einem Treffen von Betriebsräten in der Bochumer IG-Metall-Verwaltungsstelle, daß der Rücktritt „ein noch größerer Fehler wäre“. Auch Willy Scherer sieht im Moment „keinen anderen, der das machen könnte“. Bei der Belegschaft von Daimler-Benz in Stuttgart geht die Rücktrittsforderung dagegen nach Auskunft des Betriebsratsmitgliedes Thomas Adler „im Betrieb rum“. Eine organisierte Form des Protestes gebe es aber nicht. Adler fürchtet einen immensen Schaden, weil Steinkühler die Gewerkschaft „als Hoffnungsträger für viele Menschen“ diskreditiert habe. Adler wörtlich: „Er hat der Gewerkschaft damit ein Bein gestellt.“ Michaela Schießl, Hennigsdorf

Walter Jakobs, Bochum

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