: Das Lächeln von Schwester Ursula
■ Lustige Katholiken auf „Probefahrt ins Paradies“ — ein Film von D. Wolfsperger
Der schwarze Bus mit den dunklen Scheiben schaukelt durch goldgelbe Sonnenblumenfelder. Morgenstunde, schöner Kontrast. Viel später wird der Bus sich durch eine düstere Nebellandschaft schieben, ein Kind wird geboren werden, die Erde wird sich auftun, und auf den Bus wird ein Sarg geschnallt sein, drin wird die schwarze Witwe liegen, die mit dem Kosmetikkoffer, in dem sie die eingeäscherten Reste ihres Verblichenen nach Lourdes hatte mitnehmen wollen.
Aber die Reise hat gerade erst begonnen. Busfahrer Freddie erläutert die Benutzung der Frischluftregler, die Pilgerschar („Sechs Tage Lourdes mit Vollpension“) streckt die Hände hoch und genießt mit Seufzern des Wohlbefindens die Aircondition. Schwester Ursula (Christiane Hörbiger) begrüßt die Pilgerschar: „... Und deshalb hat mich der Herr Pfarrer gebeten, unserem Pastor bei allfälligen Schwierigkeiten die Stange zu halten“. Der junge Pastor (Axel Milberg) geht erstmal aufs Klo: eine rauchen. Apotheker Sellheim nutzt die Wallfahrt zu Wahlkampfzwecken, das ältliche Ehepaar Trägermoos betet zur Jungfrau Maria um den überfälligen Nachwuchs, Frau Ellenrieder mit ihrem leicht debilen Adoptivsohn berichtet mit verdrehten Augen, wie Maria sie, krebskrank, erhörte. Per Stereoanlage wird die Fehde Krieg zwischen „Meerstern, ich Dich grüße“ und rumpelnder Rockmusik ausgetragen, Pastor Strobel erinnert in seiner Ansprache daran, daß auch Jesus schwache Momente hatte, Schwester Ursula zählt lächelnd die ekligen Krankheiten der Heiligen Bernadette auf und konstatiert eine gewisse Führungsschwäche des jungen Mannes. Dann läßt sie die Stange (!) mit samtenem Klingelbeutel und Troddeln dran durch die Reihen wandern und nimmt die schöne, hochschwangere Theresa (Barbara Auer) ins Gebet, die sich per Anhalter der Pilgerschar angeschlossen hat. Was die Nonne nicht weiß: Der Vater des ungeborenen Kindes ist — Pastor Strobel.
Ob Muttergotteskult oder Kollekte, Kirchenlied oder Zölibat — Regisseur Douglas Wolfsperger kennt seine Pappenheimer. Daß der Katholizismus gar nicht erst parodiert werden muß, um seine komischen Seiten zu entfalten, wissen wohl nur Eingeweihte. Nichts ist ihm heilig: Da übt einer späte Rache in einem Film für Ex-Katholiken und solche, die es werden wollen. Dabei steckt Wolfspergers blasphemischer Witz weniger in den Dialogen, als in der Bildsprache und den Tücken der Objekte und Details, sei es der schwarze Bus, der dreieckige Rückspiegel, die Kollektenstange, die klägliche Sangeskunst der Reisegesellschaft oder das falsche Lächeln von Schwester Ursula, das Christiane Hörbiger so täuschend echt gelingt, als habe sie ihre Jugend im Ursulineninternat verbracht. Harsche Kritik an religiöser Doppelmoral hat „Probefahrt ins Paradies“ gar nicht erst nötig, Wolfsperger schlägt den Katholizismus mit dessen eigenen Mitteln: Er macht sich ein Bildnis. Sein Film legt die gleiche drastische Anschaulichkeit und hinterhältige Harmlosigkeit an den Tag wie die Kollegen auf der Kanzel. Wenn Schwester Ursula der schwangeren Theresa mit stoischer Miene den Klingelbeutel in den Schoß legt, dann wird offenbar, warum die Kirche für die Kinder katholischer Priester Alimente zahlt: als Schweigegeld für die Mütter.
Der Schweizer Regisseur entwickelt eine unbändige Lust, die Anarchie zu entfesseln, die die volkstümlichen Rituale nur mühsam kaschieren können. Spätestens bei der Zwischenübernachtung im ländlichen Gasthof wird die Pilgerschar zur Kenntlichkeit entstellt. Ehen und andere Gelübde werden gebrochen, Mordgelüste ausgelebt, schwarze Messen zelebriert und Freßgelage gefeiert. Eigentlich sind die Katholiken ein ausgelassenes, lebenslustiges Völkchen. Zu schade, daß der Meßwein immer nur in kleinen Schlucken verabreicht wird. Christiane Peitz
„Probefahrt ins Paradies“. Regie: Douglas Wolfsperger. Mit: Axel Milberg, Barbara Auer, Christiane Hörbiger u.a. Deutschland/ Schweiz 1992, 83 Min.
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