: Einäugigkeit
■ betr.: "Der Tod, der Sieger, die Scham", taz vom 18.5.93
betr.: „Der Tod, der Sieger, die Scham“, taz vom 18.5.93
Freimut Duve beschäftigt sich zu lange mit dem Thema, als daß seine gegen die Serben gerichtete Einäugigkeit, der er auch noch das Etikett „Plädoyer für Genauigkeit“ gibt, mit Unkenntnis zu erklären wäre.
Der Krieg in Kroatien eskalierte nach dem Abzugsbeschluß der jugoslawischen Bundesarmee aus Slowenien am 18. Juli 1991. Am gleichen Tag war Herr Tudjman bei Kanzler Kohl in Bonn und versicherte sich beim mächtigsten Land der EG der Unterstützung für die staatliche Anerkennung. Mit dieser politischen Rückendeckung, also nicht erst nach „sechs Monaten“, war der Gewinn (staatlicher Souveränität) bei einer – militärisch erfochtenen – einseitigen Sezession der jugoslawischen Republik Kroatien aus dem jugoslawischen Bundesstaat gesichert.
Die EG versuchte dagegen im Zeitraum der schwersten Kämpfe in Kroatien, also ungefähr bis zum Fall Vukovars am 18. November 1991, alle Beteiligten für eine friedliche, gemeinsame Lösung des jugoslawischen Bundes zu gewinnen. Faktoren der kriegerischen Eskalation waren damals: die Angst der 600.000 kroatischen Serben vor einem kroatischen Staat, in dem sie erst einmal in ihrer Geschichte gelebt hatten und hingemetzelt worden waren – unter dem kroatischen Ustascha-Regime 1941–44; daß von Belgrad aus die Konfrontation zwischen kroatischen Serben und Kroaten bis zur massiven militärischen Einmischung der serbisch dominierten, jugoslawischen Bundesarmee („serbische Armee“? Plädoyer für Genauigkeit, Herr Duve!) geschürt wurde; die nationalistische Ausgrenzung von Tudjmans HDZ gegenüber den kroatischen Serben, so daß erst ein Genscher im Februar 1992 kommen mußte, damit die Kroaten die serbischen Minderheiten nachträglich (!) in der Verfassung festschrieben; und nicht zuletzt die deutsche Obstruktionspolitik gegenüber den EG-Bemühungen.
Daß eine Politik der Eskalation, wie sie von Serbien, Kroatien und Deutschland betrieben wurde, Fakten schaffen mußte, so daß die EG schließlich im Dezember politisch kapitulierte, die Anerkennungspolitik übernahm und am 15. Januar 1992 u.a. Kroatien anerkannte, darf nicht verwundern.
Dem „Plädoyer für Genauigkeit“ wäre zudem förderlich, wenn Herr Duve sein – ein Vierteljahrhundert zurückliegendes – Engagement gegen den Vietnamkrieg herauskramen würde. Vielleicht würde er sich dann erinnern, daß schon damals – und auch da nicht zum ersten Mal – „Völkerrecht und alle Konventionen zum Führen von Kriegen verhöhnt und zerschossen“ wurden.
Solche, die Grenzen der Geschichtsklitterung überschreitende, Ungenauigkeiten, deren ideologische Stoßrichtung eindeutig antiserbisch ist, hat Gründe. Aktuell geraten diejenigen, die im Verein mit (fast) der gesamten bundesdeutschen Presse eine Militärintervention gegen Serbien fordern, argumentativ zunehmend in die Defensive. Nicht nur, daß die, den serbischen gleichgerichteten, kroatischen Interessen gegenüber Bosnien-Herzegowina auch von gleichgerichteten deutschen Medien nicht mehr ignoriert werden können (s. Mostar). Duve führt uns das jüngst entwickelte Argumentationsmuster vor, damit die einseitig-antiserbische Ideologie wieder stimmt: Die armen Kroaten sind vom Vorbild der bösen Serben verführt worden!
Zudem sickert in den letzten Tagen ins (ver)öffentli(t)che Bewußtsein (vgl. Stern vom 13.5.93), daß ein konsequentes Embargo gegen Serbien ein durchaus effektives Druckmittel zur Beendigung von kriegerischen Gelüsten ist. Aktuell zeigt zunächst mal die Milošević-Regierung Wirkung, und mit ihr die Bevölkerung Serbiens. Noch sträuben sich die bosnischen Serben und ihr Parlament gegen die Annahme des Vance-Owen- Plans. Doch bei einer wirklichen Isolierung wird auch ihr Widerstand nicht mehr lange andauern.
Vielleicht könnte mensch ihren Umdenkungsprozeß dadurch beschleunigen, indem ihnen – und zu gleichen Teilen muslimischen und kroatischen Bosniern – der diesjährige bundesdeutsche Militärhaushalt gegen eine Kriegsbeendigung angeboten würde? Dann wäre deutschen Neubellizisten doppelt die Grundlage entzogen. Hans-Peter Hubert, BAG
Frieden / Internationalismus von
Bündnis 90/Grüne, Berlin
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