Stühlerücken in London

■ John Major mischt sein Kabinett neu

London (taz) – Der britische Schatzkanzler Norman Lamont hat gestern früh das Handtuch geworfen. Zwar kam sein Rücktritt keineswegs überraschend, doch die Art und Weise, wie er ihn bekanntgab, war bizarr: Lamonts 82jährige Mutter Irene hatte am Morgen ihre Lokalzeitung Grimsby Evening Telegraph von einem Anruf ihres Sohnes informiert, in dem er seinen Rücktritt angekündigt habe. „Ich habe mir gedacht, daß seine alten Schulkameraden hier in Grimsby an der Nachricht interessiert wären“, sagte Mutter Lamont.

Sohn Norman, 1942 geboren, war 1972 als jüngster Abgeordneter ins Parlament eingezogen. Schon früh wurde er zum Fan Margaret Thatchers, die ihn zunächst zum Staatssekretär im Handelsministerium und später im Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium machte. Er wechselte jedoch rechtzeitig die Pferde: Vor zweieinhalb Jahren wurde Lamont mit dem Posten des Schatzkanzlers belohnt, nachdem er Majors parteiinterne Wahlkampagne für die Thatcher-Nachfolge geleitet hatte.

Seine Karriere war von Anfang an von Skandälchen überschattet: So hatte er sein Haus nach seinem Umzug in die Downing Street an eine Sex-Therapeutin vermietet. Darüber hinaus soll er seine Kreditkarte öfter überzogen haben, um Alkohol zu kaufen. Was ihm dann das Genick brach, war Großbritanniens Austritt aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus im September – ein Schritt, den er bis dahin kategorisch abgelehnt hatte. Der letzte Tropfen war vermutlich ein Interview im Guardian von gestern, in dem er Steuererhöhungen ankündigte, um das enorme Haushaltsdefizit von umgerechnet ca. 125 Milliarden Mark unter Kontrolle zu bekommen.

Lamonts Nachfolger wird Innenminister Kenneth Clarke, der dem linken Tory-Flügel zugerechnet wird. Neuer Innenminister wird Michael Howard aus dem Umweltministerium. Die weiteren Veränderungen im Kabinett sind eher nebensächlich und dienen lediglich der Beruhigung des rechten Parteiflügels. Ein Labour-Abgeordneter bezeichnete die Kabinettsumbildung denn auch als „Stühlerücken auf der Titanic“. Ralf Sotscheck