: Gegen "Helfertum"
■ Deutschsprachige Zeitschriften von EinwanderInnen
Am Anfang waren überwiegend von Behörden herausgegebene Infoblätter (zum Beispiel von der Bundesanstalt für Arbeit), die teilweise immer noch zirkulieren. In den 70er Jahren tauchten dann überall politische Linienblätter auf, Lotta Continua oder Lucha Obrera. Die politischen Auseinandersetzungen in der Türkei, in Griechenland, Spanien und Portugal fanden in Gestalt der Kampfblätter ihr Echo in Deutschland. 1971 waren im bundesdeutschen Raum 158 ausländische Zeitschriften zu erhalten, 69 davon wurden in der BRD gedruckt. Von den 80er Jahren an hatten die eher heimatbezogenen Zeitschriften über die Lebenswelt der ImmigrantInnen hier nicht mehr viel zu sagen. Sie schrumpften auf kleine, geschlossene Zirkel. Der 1970 unternommene Versuch, sich mit den hiesigen Problemen aus einer sozialistischen Perspektive zu beschäftigen, wurde nicht wieder aufgenommen. (1970 erschienen Devrimci Motor für Ford-Arbeiter, Devrimci Elektrik für Siemens-Arbeiter und Devrimci Kömür für Bergarbeiter aus der Türkei im Ruhrgebiet.) Zur gleichen Zeit entstanden Zeitschriften mit der Zuwendung zu den Problemen, denen die ImmigrantInnen, die sich immer mehr als solche verstehen, hierzulande gegenüberstehen.
In dieser Besprechung werden insgesamt sechs deutschsprachige Zeitschriften von ImmigrantInnen vorgestellt:
„Die Brücke“
Ein anpruchsvolles Selbstverständnis entspringt den Seiten der umfangreichen Zeitschrift Die Brücke die sich beehrt, ein „im üblichen Einerlei“ der Marktmedien „herausgewachsenes Geschwür“ zu sein. Mit etwa 70 Seiten stellt sich Die Brücke alle zwei Monate eher für die Auseinandersetzungen theoretischer Natur einem vielfältigen Spektrum zur Verfügung. Nichtsdestoweniger kann man von einem Grundkonsensus sprechen, der sich durch viele Beiträge hindurchzieht: „Kulturelle Autonomie“ als Alternative zum Nationalstaats-Denken ist einer der Vorschläge, deren Ausarbeitung sich das Blatt aus Saarbrücken widmet.
Das bundesweit verbreitete Blatt entstand 1981. Es wird über einen gleichnamigen, gemeinnützigen Verein herausgegeben und kostet sieben Mark. Die Zeitschrift verfügt zusätzlich über zwei lokale Redaktionen in Frankfurt und in Berlin.
„Stimme“
Die Zeitschrift Stimme trägt den Untertitel „Zeitschrift für In- und Ausländer/innen im Land Bremen“. Sie erscheint monatlich und kostet nur zwei Mark, zum Teil liegt sie in öffentlichen Beratungslokalen, Kneipen usw. auch kostenlos aus.
Das Blatt für Bremen und Bremerhaven mit dem Umfang von meist 32 Seiten und einer Auflage von 3.000 Exemplaren, versehen mit Schwarzweißfotos, bringt Berichte, Gedichte und sonstiges über Themen wie „Asyl-Abschiebungen“, das ehemalige Jugoslawien, die Türkei oder stellt Vereine vor.
Stimme ist als Forum der im DAB (Dachverband der Ausländerkulturvereine Bremen) organisierten Vereine gegründet worden und wird vom Senat finanziert. Das bislang durchgehaltene Konzept, so Redaktionsleiterin Brigitte Heimannsberg, bezwecke, daß Einwanderer ihre Anliegen immer stärker selbst artikulieren. Dazu sollen auch die stärker quotierten Ausbildungsseminare dienen. Die Vorstellung vieler potentieller Leser und Schreiber, daß die Stimme „ein DAB-Blatt ist“, hält anscheinend manch schreibwillige EinwandererInnen vom Blatt fern.
„Fremden-Info“
Die Zeitschrift aus Frankfurt a.M. setzte sich bis vor kurzem jeden Monat auf rund 50 Seiten fast ausschließlich mit Themen wie „Überlegungen zur Selbstorganisation der Einwanderer“; „multikulturelle Augenwischerei“; Rassismus – Ausländerfeindlichkeit“ auseinander. Das Titelblatt ist aus Glanzpapier, der Stückpreis beträgt zwei Mark.
Eins der Hauptmotive im von „Saz-Rock“ – Verein für Jugendliche aus der Türkei und der BRD – herausgegebenen Blatt ist die Kampfansage an den Eurozentrismus. Eurozentrismus bedeutet für die Zeitschrift meistens soviel wie „Helfertum“. So plädieren viele Beiträge in diesem Zusammenhang gegen „Helfertum“ und „Stellvertretertum“.
„Perspektiven“
Ein Teil der bisherigen Fremden- Info-MitarbeiterInnen gibt seit 1992 die Perspektiven heraus. Sie sind nicht mehr so stark auf Theorie fixiert wie das Fremden-Info, vor allem verschließen sie sich nicht der aktuellen AusländerInnenpolitik, in Frankfurt a.M.
„Kirpi“
Anfang des Jahres 1990 ist aus den Diskussionen zwischen den türkischen Immigranten eine Zeitschrift namens Kirpi (auf deutsch „Der Igel“) hervorgegangen. Wir besprechen die Kirpi hier nicht nur stellvertretend für viele ImmigrantInnenblätter, die eingestellt wurden – Kirpi war auch dasjenige, das wohl am stärksten dem Anspruch der Selbstbestimmung der AusländerInnen entsprochen hat.
Ihr Umfang schwankte zwischen 80 und 110 Seiten guter Druckqualität. Von der Auflage von 5.000 bis 10.000 Exemplaren wurden jeweils höchstens 2.500 verkauft. Herausgeber war die „Kirpi-Medien Verlagsgesellschaft“. Zuerst monatlich, später auf Grund der anhaltenden finanziellen Probleme dreimonatlich erscheinend, mußte die Zeitschrift für Immigranten aus der Türkei nach anderthalbjährigem Bestehen eingestellt werden.
„In den Unterschieden liegt die Quelle des Reichtums“, war das Leitprinzip bei der Auswahl der Themen gewesen. Das kostenreiche Blatt erschien in zwei Sprachen: türkisch und deutsch, jeweils mit verschiedenen Inhalten und wurde von einem Autorenkollektiv zusammmengestellt, das mehrheitlich aus der Türkei stammte.
Kirpi-MitarbeiterInnen haben schon längst ihre Lehre aus dem gescheiterten Projekt gezogen: „Eine Zeitschrift braucht von Anfang an eine unabhängige, solide materielle Basis.“
Kirpi hat wohl mit seiner „Linienlosigkeit“ bei vielen aus der türkischen Immigrantenszene eher eine skeptische Haltung erzeugt. Das Bestreben der Zeitschrift aus Essen, „unterschiedliche Positionen innerhalb der Minderheitengesellschaft in einer gemeinsamen Plattform zusammenzubringen, um dann gemeinsam Position gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu beziehen“, wird am Ende dieses kurzen, aber erfahrungsreichen Lebens als „ein völlig ungewohntes, neues Unterfangen“ bewertet.
„Echo“
Das Nürnberger Blatt Internationale Jugendzeitung – Echo machte vor kurzem einen Umstrukturierungsprozeß durch. Der Grund: Echo war hauptsächlich von Älteren für Jugendliche herausgegeben worden, nun sollten Jugendliche die Arbeit übernehmen. Die Monatszeitschrift mit 20 Seiten wird vom „Jugendhaus Gostenhof“ getragen und kostenlos verteilt. Teilweise liegen türkische Übersetzungen bei.
„Merhaba“
Die in pädagogischen Kreisen zeitweilig stark vertretene These von der „zweiten Generation“, die zwischen den Stühlen säße, scheint die Mitarbeiter der Zeitschrift Merhaba – Die neue Brücke – Multikulturelle Jegendzeitschrift weniger zu berühren. Die Themen-Beiträge in der Düsseldorfer Zeitschrift sind globalerer Art. Ein Heft etwa macht sich zur Aufgabe, Grundwissen über den Islam zu vermitteln.
Merhaba umfaßt etwa 26 Seiten aus Umweltpapier, legt mit Unterstützung der „Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Düsseldorf“ monatlich jeweils 1.500/2.000 Exemplare auf und wird kostenlos verteilt. Anfang August taten sich die Jugendzeitschriften Merhaba und Die neue Brücke zusammen.
„Ausländerfeindlichkeit abzubauen, eine Brücke zwischen Menschen verschiedener Kulturen zu schlagen und Jugendlichen verschiedener Kulturen eine Möglichkeit zu geben, über ihre Probleme und Erfahrungen zu schreiben“, sind Ziele der Zeitschrift.
Es gibt noch eine große Anzahl von kleineren Zeitschriften. All diese Publikationen leiden neben den bekannten Finanzproblemen auch unter mangelndem Interesse von LeserInnen. Vor allem aber ist symptomatisch für fast alle Immigrantenzeitschriften eine ausschließliche Fixiertheit auf das „Immigrantische“. Die Erforschung der Gründe dafür, warum sich bei der Immigrantenpresse noch keine stärkere Zuwendung zu anderen binnenpolitischen Themen und Problemen abzeichnet, verdient Beachtung. Die Verweigerung der elementaren Bürgerrechte der Einwanderer in diesem Land ist sicherlich ein wichtiger Grund hierfür.
Adressen:
„Die Brücke“, Riottestr. 16, 6600 Saarbrücken 3
„Stimme“, Schiffbauerweg 4, 2800 Bremen 21
„Fremden-Info“, Redaktion c/o Einwanderer-Treff, Kasseler Straße 13, 6000 Frankfurt a.M. 90
„Perspektiven“, c/o Saz-Rock, Verein für Jugendliche aus der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland, Bachmannstr. 2-4, 6000 Frankfurt 90
„Kirpi“, Satz und Graphik/Erdogan Saldamli, Pferdemarkt 5, 4300 Essen 1;
„Echo“, Jugendhaus Gostenhof, Eberhardshofstr. 10a, 8500 Nürnberg 80
„Merhaba“, c/o Internationaler Jugendtreff, Oberbilker Allee 287, 4000 Düsseldorf 1
Simone Heimannsberg, Martina Burandt, Richard Herding, Zeliha Küçükçankaya, Informationsdienst (ID): Netzwerk Alternative Publizistik, Bremen
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