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Blockade erzwingt stilles Nachdenken

■ Autofahrer akzeptierten Straßenblockade als Protest gegen Solinger Morde / Trauerfeier vor Kreuzberger Rathaus

Von allen Demonstrationen der jüngsten Zeit stieß keine auf so großes und verzichtbereites Verständnis der Bevölkerung wie die von gestern mittag. Etwa 200 größtenteils türkische StudentInnen der Technischen Universität blockierten aus Protest gegen die Morde in Solingen für knapp eine Stunde einzelne Zufahrtswege zum Ernst-Reuter-Platz.

Die überwiegende Mehrheit der AutofahrerInnen drückte nicht ihre Hupen, versuchte nicht, rücksichtslos durch Lücken zu preschen. Niemand wurde gefährdet und nicht ein einziger der Blockierer beschimpft. Still und geduldig warteten die meisten der vielen hundert Staugeschädigten ab, bis die StudentInnen sich wieder von der Straße erhoben. Die vom Türkischen Wissenschafts- und Technologie-Zentrum e.V. (BTBTM) organisierte Aktion stieß auf Akzeptanz, nicht nur weil das Entsetzen über die Mordbrennerei groß ist, sondern auch, weil die Blockierer sich undogmatisch verhielten. Denn zu keiner Zeit stand der gesamte Innenstadtverkehr still, sondern gesperrt wurden nacheinander die Hardenbergstraße, die Straße des 17. Juni und die Otto- Suhr-Allee. So aber waren die Kommentare – „finde ich gut“ und „sollen wir denn warten, bis noch mehr verbrannt werden“ – ganz und gar keine Seltenheit.

Aber nicht nur die kompromißbereiten Blockierer – Feuerwehr, Ärztewagen und Taxis durften passieren – trugen zum Gelingen der friedlichen Aktion bei, sondern auch die Polizisten der 11. Einsatzhundertschaft. Keine Spur von Aufgeregtheiten, keine dominante Präsenz. Im Gegenteil. Eine ganze Reihe von Polizisten leistete Aufklärungsarbeit. Sie gingen von Wagen zu Wagen und erstickten einzelne Proteste durch Informationen, warum die StudentInnen auf der Straße saßen. Der Polizeiobermeister Anton Klein fand die Blockade gar eine „Supersache“. „Ich stehe für Recht und Ordnung“, sagte er, und die „StudentInnen sind ordentlich, und recht haben sie auch“.

Die einstündige Aktion endete um ein Uhr mittags mit einer Gedenkminute. Im Anschluß fand gestern bis zum frühen Abend eine von der European Association of Turkhish Academics organisierte Mahnwache vor dem Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Steinplatz statt. Im Andenken an all die Menschen, die allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ermordet wurden, entzündeten viele StudentInnen dort Kerzen. Anita Kugler

Trauerfeier in Kreuzberg

In Berlin gibt es heute keine zentrale Trauerfeier parallel zum Staatsakt für die fünf ermordeten Türken in Köln. Eine solche Veranstaltung ist nicht geplant, hieß es gestern in der Senatskanzlei. Man begnügt sich mit einer Trauerbeflaggung an allen öffentlichen Gebäuden. Aktuell reagierten darauf die Bezirke Kreuzberg und Schöneberg.

In Kreuzberg hat das Bezirksamt gemeinsam mit dem Bund der Einwanderer, der Türkischen Gemeinde und dem Ausländerbeirat Kreuzberg zu einer Trauerveranstaltung aufgerufen. Von 11.45 bis 14 Uhr wird deshalb die Yorckstraße vor dem Rathaus gesperrt. Neben der Bevölkerung sind auch die Mitarbeiter der bezirklichen Verwaltung und die Schulen zur Teilnahme aufgefordert. Sprechen werden Bürgermeister Peter Strieder (SPD) und der türkische Vizegeneralkonsul Mehmet Cinar. „Zu dem Schmerz und der Trauer über die Morde“ komme auch das „Bewußtsein, daß derartige Terrorangriffe auch einen Angriff auf das bisher friedliche Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen darstellen“, heißt es in einer Erklärung. Im Bezirk leben 50.000 Ausländer und stellen damit ein Drittel der Bevölkerung. Im Kreuzberger Rathaus hält man mit der Meinung nicht hinter dem Berg, daß eine zentrale Senats- Veranstaltung die bessere Lösung gewesen wäre.

In Schöneberg soll es im Foyer des Rathauses eine Live-Übertragung des Staatsakts geben. Zugleich hat der Bezirk die Mitarbeiter dazu aufgerufen, um zwölf Uhr für fünfzehn Minuten die Arbeit niederzulegen und sich zur öffentlichen Trauer vor den Dienstgebäuden zu versammeln. Dies hatte die Gewerkschaft ÖTV vorgeschlagen. Es gelte, nicht nur auf extreme Gewaltanwendung zu reagieren, sondern sich auch gegen „die schleichende Normalisierung fremdenfeindlicher Positionen“ in der Gesellschaft zu wenden, erklärte die Gewerkschaft. Auch der Senat fordert alle Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zur Teilnahme an dieser Aktion auf.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband rief wie die Bürgerinitiative „Mahnwache Brandenburger Tor“ dazu auf, mit schwarzen Tüchern, Bändern oder Fahnen an Fenstern und Balkonen die Trauer um die Opfer von Solingen zu verdeutlichen. gn

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