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Die Fahrt ist eine Zitterpartie

■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (9): Taxifahrer vergleicht die Fahrt durch die Schönhauser Allee mit einem Autorennen: "Hoffentlich kommt man an"

Mit ihren Taschen schwer beladen geht die alte Frau langsam die Schönhauser Allee entlang. Sie muß nur noch die Dimitroffstraße überqueren, dann ist sie zu Hause. Nur noch? Was ihr dort täglich widerfährt, ist ein städtebauliches Verbrechen: Die Übergänge an den Straßenecken haben keine Ampel und sind den Fußgängern durch Zäune versperrt. Autos schießen aus allen Himmelsrichtungen heran, sind mit der Verkehrsführung überfordert und schlingern zwischen Kopfsteinpflaster und Schienen hin und her.

Die Straße ohne Ampel zu überqueren, kommt für die Ostberlinerin überhaupt nicht in Frage, selbst wenn es die Barrikaden nicht gäbe. Denn die Lücken im Verkehr sind fast nie so groß, daß sie ungefährdet auf die andere Seite käme. So macht sie sich auf den beschwerlichen Weg, mit Hilfe von drei Ampelübergängen die Gesamtkreuzung zu umrunden. Sicher fühlt sie sich auch dabei nicht, denn die Autos fahren in hohem Tempo.

Von Sicherheit kann in der Schönhauser Allee nicht die Rede sein. Dieser Meinung ist nicht nur die alte Frau aus leidiger Erfahrung. Auch die Expertengruppe, die noch vom rot-grünen Senat beauftragt wurde, eine Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr zu erstellen, kam zu diesem Ergebnis. Das zwei Aktenordner dicke Gutachten liegt seit beinahe einem Jahr in einer Schublade der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz.

Jener müßte die Studie deutlich vor Augen führen, wie dringend hier gehandelt werden muß, denn die Ergebnisse sind in beinahe allen Hauptstraßen katastrophal. So errechneten die Mitarbeiter der Berliner Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) und der Berliner Forschungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS), daß sich die volkswirtschaftlichen Kosten durch Unfälle pro Kilometer Schönhauser Allee auf über 2,3 Millionen Mark belaufen. Damit liegt die Straße hinter der Frankfurter Allee und der Warschauer Straße auf dem traurigen Rang 3 der Ost-Hauptrouten. Die Dimitroffstraße folgt mit rund 1,8 Millionen Mark auf Platz 4, was die Gefahr für die alte Frau während ihres täglichen Weges noch deutlicher macht.

Auch der subjektive Eindruck, daß die meisten Fahrer zu schnell über die Bodenwellen und Risse im Belag donnern, wird durch das Gutachten bestätigt: Statt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wegen des schlechten Straßenzustands zu unterschreiten, wird durchschnittlich schneller gefahren. In der Dimitroffstraße wird die Höchstgeschwindigkeit so konstant überschritten, daß im Durchschnitt jeder Fahrer „Punkte“ in Flensburg bekommen müßte.

Um die Gefahr wissen auch Straßenverkehrs-Profis: Kurt ist Taxifahrer und mag seinen Job. Seit vielen Jahren kreuzt er vor allem im Osten Berlins, am liebsten fährt er Nachtschichten. Doch die Schönhauser Allee kann er nicht leiden. Der Straßenbelag sei eine Katastrophe, schimpft Kurt, ebenso die Verkehrsführung. Unfälle gebe es ständig, bestätigt er und ergänzt: „Das ist wie beim Autorennen; man hofft immer, daß man überhaupt ankommt.“ Christian Arns

In der nächsten Folge raten wir von der Zossener Straße ab.

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