: „An Systemfehler glaube ich nicht“
■ Interview mit Klaus Steffenhagen von der Gewerkschaft der Polizei
Klaus Steffenhagen ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Bundesland Nordrhein- Westfalen
taz: Herr Steffenhagen, es scheint so, daß ein Polizeibeamter den wehrlos am Boden liegenden Wolfgang Grams am Sonntag in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) per Kopfschuß quasi exekutiert hat. Welche Konsequenzen wären aus ihrer Sicht – für den Fall, daß sich der Verdacht bestätigte – zu ziehen?
Klaus Steffenhagen: Wenn sich der Fall tatsächlich in der von Ihnen geschilderten Weise ereignet haben sollte – noch ist das ja offen –, dann muß zunächst einmal überprüft werden, ob hier ein tragisches Fehlverhalten eines einzelnen Menschen vorgelegen hat, oder ob es sich um einen Systemfehler handelt.
Ich bin kein Freund, voreilige Konsequenzen zu fordern, aber ein solcher Fall böte Anlaß, die gesamte Aus- und Fortbildung in der Polizei zu überprüfen. Zu fragen wäre etwa, ob eine bessere Vorbereitung zur Konfliktbewältigung und zur Aggressionsbeherrschung bei solchen extremen Ereignissen möglich ist. Auch wenn ein Polizeibeamter eine solch schreckliche Tat begangen haben sollte, glaube ich nicht an einen Systemfehler, denn bis heute sind solche schwierigen Einsätze in aller Regel korrekt abgelaufen.
Nach dem Mord an einem Düsseldorfer Polizisten sind kürzlich in Essen zwei völlig unbeteiligte Männer von einem polizeilichen Sondereinsatzkommando verfolgt und anschließend schwer verletzt worden. Unabhängige Zeugen sprachen auch bei diesem Fall von einem völlig unangemessen Verhalten der Beamten. Ist es nicht so, daß Polizisten nach dem Tod eines ihrer Kollegen in der Regel anders reagieren als bei einem ganz normalen Kriminalfall?
Man darf solch unterschiedliche Fälle nicht miteinander vermischen und vergleichen. Es ist nie auszuschließen, daß bei polizeilichen Einsätzen aus unterschiedlichen Anlässen Fehler passieren. Die muß man im Einzelfall untersuchen. Dafür muß man geradestehen und die müssen korrigiert werden.
Auch in dem von Ihnen genannten Fall gab es konkrete Verdachtsmomente, die sich später als falsch heraus gestellt haben. Da bewegen wir uns immer auf des Messers Schneide. Ich wehre mich gegen Pauschalisierungen. Man muß immer den Einzelfall betrachten.
Im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Bad Kleinen hat es eine bundesweite Fahndung nach Verdächtigen aus der Roten Armee Fraktion gegeben. Auch in Dortmund wurden neun Personen vorübergehend festgenommen. Ein Mann wurde dabei verletzt. Polizeibeamte hatten sein Fahrzeug auf einer Autobahnabfahrt während der Fahrt bewußt gerammt und dann gestoppt. Der Mann hatte mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Ein völlig Unbeteiligter wurde auf brachiale Weise festgenommen. Das hat doch Methode. Sobald ein Terrorismusverdacht im Raum steht, läuft die Fahndung ganz plötzlich ein paar Grade schärfer ab – und völlig Unbeteiligte geraten ins Visier.
Wenn die Fälle sich häufen, ist es verständlich, daß die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes Probleme haben, die Einsatzlage zu verstehen. Ich kann nicht beurteilen, ob das Einschreiten in der Form berechtigt war.
Das muß untersucht werden, aber es kann immer wieder vorkommen, daß auch Unbeteiligte von Polizeieinsätzen berührt werden.
Das Verheerende in Dortmund war, daß die Öffentlichkeit nicht schnellstens informiert wurde und nicht alle Karten über den Einsatz so schnell wie möglich auf den Tisch gelegt worden sind.
Das Gespräch führte
Walter Jakobs in Bochum
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