: Wirtschaftskammer mit KW-Vermerk
■ taz mit dem senatorischen Rotstift unterwegs (2): Gewerkschaften verteidigen hartnäckig ihren B3-Posten
Die „Wirtschaftskammer“ ist ein Bremer Phänomen: Paritätisch haben Arbeitgeber- Kammervertreter und Gewerkschaftsvertreter hier eine neue Kammer-Institution geschaffen. Die Idee stammt noch aus den 50er Jahren, als die Eintracht zwischen den Tarif-Organismen dem Bremer Senat bares wert sein konnte: eine Million Mark jährlich aus dem Steuersäckel kostet der Spaß, die beteiligten Partner zahlen nichts. „Hier kann der Kompromiß gefunden werden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern“, lobt Johann Lüdemann, DGB-Kreisvorsitzender Bremerhaven, die Struktur. Sein Vorgänger im Amt, Skribelka, hatte den lukrativen B3-Job als Syndikus bei der Wirtschaftskammer bekommen. Ausgerechnet diesen Posten will der Wirtschaftssenator jetzt streichen. Lüdemann. „Wir weisen das zurück.“
Neben dem Arbeitnehmer- Syndikus gibt es in dieser Kammer den paritärischen Arbeitgeber-Syndikus, Aeilt Schon. Der hat das 65. Lebensjahr seit Ende April erreicht und würde gern aufhören — wenn die gewählte Nachfolgerin den Job antreten könnte.
Und da hängt das Verfahren derzeit. Zu ihrem Amtsanttritt fehlt es an der Unterschrift des Wirtschaftssenators Jäger. Aber der hat in den Jahren der Opposition in diversen Haushaltsdebatten zum Thema Wirtschaftskammer immer wieder vorgeschlagen: „Das Kapitel 0790 Wirtschaftskammer wird aufgelöst“, der Haushaltstitel sollte gestrichen werden. Die SPD hatte dies immer geschlossen abgelehnt. Nun ist Jäger selbst in der Lage, durch die Verweigerung der Unterschrift die Wirtschaftskammer zu blockieren.
Eine verrückte Lage, amusiert sich Wirtschaftssenator Jäger: Diese Kammer vertritt in fast allen Fragen wirtschafts- und FDP- nahe Positionen. Er, der Wirtschaftssenator, will das Geld sparen, die Gewerkschaftsseite verteidigt diese Institution.
Ein Gespräch, so der noch amtierende Syndikus Schon, hat es mit dem FDP-Politiker nicht gegeben, die Fronten sind klar. Die Wirtschaftskammer ist in der bremischen Landesverfassung verankert. Aeilt Schon: „Im Kammergesetz steht: Die Kosten trägt das Land Bremen.“ Da ist also nichts zu sparen.
An eine Verfassungsänderung will die FDP aber vorerst nicht heran, das würde das Thema auf die lange Bank schieben. Also werden die Daumenschrauben angesetzt: FDP-Bürgerschaftsabgeordneter Axel Adamietz hat eine Gesetzesnovelle vorbereitet, nach der die hauptamtlichen Syndici ganz gestrichen werden. Sparvolumen: 700.000 Mark. Und solange das nicht in der Bürgerschaft beschlossen (oder abgelehnt) ist, so argumentiert der Senator, kann er keinen unbefristeten Vertrag genehmigen.
Die Kammer hat eine „Untätigkeitsklage“ beim Verwaltungsgericht eingereicht, um die Unterschrift des Senators zu erzwingen. Einen Termin „den gibt es nicht so schnell“, räumt Schon ein. Solange hat er seinen Vertrag über das gesetzliche Rentenalter hinaus verlängert.
Die Handelskammer, neben dem DGB der andere starke Partner der Wirtschaftskammer, hält sich auf die Frage nach dem Sinn der Kammer zurück. Auflösung der Wirtschaftskammer? „Wir hatten bisher keinen Anlaß, darüber nachzudenken“, sagt Dr. Dieter Porschen von der Handelskammer. Nur: Der vorliegende Antrag, die Arbeit rein ehrenamtlich zu machen, der sei „leider unpraktikabel“. Was 42 Jahre lang von zwei Hauptamtlichen gemacht wurde, könne nun nicht schlicht auf ehrenamtliche Schultern geladen werden.
Etwas verunsichert angesichts der Sparzwänge ist die SPD. Anfang August will die Fraktion das Thema beraten. Da stehen intern zwei Auffassungen gegenüber, heißt es: Auf der einen Seite die Frage, Was machen die eigentlich?, auf der anderen Seite die Erkenntnis, daß die Kammer in der Verfassung als bremischen Institution steht.
Voll überzeugt vom Sinn der Kammer ist nur die Arbeitnehmerseite. Johann Lüdemann hat auf die Nachfrage, in welchen Fragen da denn der Kompromiß zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften gesucht würde, gleich einige Beispiele parat: derzeit werde darüber beraten, ob das Carl-Schurz-Gelände nicht zu Bremerhaven kommen solle. Unlängst habe es eine Erklärung zur Hemelinger Marsch gegeben, in dieser Frage allerdings habe es keine Kompromiß-Suche geben müssen, man sei sich sofort einig gewesen. Und ein Beispiel, in dem zwischen typischen Arbeitnehmer-und Arbeitgeberinteressen in der Kammer ein Kompromiß gesucht wurde? Da fällt dem Bremerhavener DGB-Mann nichts ein. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen