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Warten auf das Ende der Rezession

Der Aufbau Ost geht voran, behauptet Wirtschaftsminister Rexrodt / Enorme Wachstumschancen, sobald die Rezession im Westen überwunden ist / Keine Bestands- und Arbeitsplatzgarantien  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Ostdeutschland sei letztes Jahr mit einem Wachstum von 6,8 Prozent die europäische Wachstumsregion überhaupt gewesen, rühmte Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt gestern in Berlin. Dieses Jahr sei mit 5 Prozent Wachstum zu rechnen. Und dann fügte er das an, was alle Regierungsvertreter seit 1990 regelmäßig im Munde führen: „Wir haben in den neuen Bundesländern den Tiefpunkt überwunden. Es geht aufwärts.“

Bislang ist der Aufschwung allerdings vollkommen abhängig vom Geld aus dem Westen: 1993 werden es brutto wohl 181 Milliarden sein. Das gesamte Sozialprodukt in den neuen Bundesländern beträgt dabei nur etwa 235 Milliarden Mark. Wann aber trägt sich der Aufschwung Ost endlich selbst? Das könne niemand genau sagen, meint Rexrodt und gibt ein exzellentes Beispiel des Ausdrucksvermögens Bonner Politiker von sich: „Ich rechne damit, daß wir 1994 oder 95 in die Phase eintreten, die das Sich-selbst-Tragen zum Inhalt haben wird.“

Wenn nämlich in Westdeutschland erst die Rezession überwunden wird, dann gebe es im Osten Deutschlands die größten Wachstumspotentiale Europas. Der Wirtschaftsminister übt sich in Optimismus: Zwar rechnet selbst er für dieses Jahr mit einem Minus der gesamtdeutschen Wirtschaftsleistung von 1,5 Prozent, aber schon im nächsten Jahr soll wieder ein Wachstum zu verzeichnen sein – auch wenn Rexrodt damit im Widerspruch zu den Prognosen von Wirtschaftsforschungsinstituten wie dem DIW steht, die eher auf Stagnation tippen.

Das Wachstum in den neuen Bundesländern werde in erster Linie von der Bauwirtschaft getragen. Die Dienstleistungen seien der zweite boomende Sektor: In 300.000 Unternehmen – vor allem in den Sparten Handel, Verkehr und Finanzen – finden inzwischen 41 Prozent der gesamten Wertschöpfung statt. Auch Handwerk und mittelständische Industrie gelten als Wachstumsbereiche.

Größte Anpassungsprobleme gebe es dagegen nach wie vor in der Industrie. Immer noch sind die Probleme mit der geringen Produktivität und dem Wegbrechen der Märkte im Osten nicht gelöst. Von früher 4 Millionen Beschäftigten in der Industrie blieb nur noch eine Million. Seinen Optimismus, daß es dennoch aufwärts geht, stützt Rexrodt vor allem auf die hohen Investitionen in Ostdeutschland. 12 bis 15 Prozent mehr als im Vorjahr soll 1993 investiert werden, rund 130 Milliarden Mark. In den privaten Unternehmen seien die Investitionen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl bereits etwas höher als im Westen. Natürlich, so muß der Wirtschaftsminister einräumen, finden diese Investitionen auf einem sehr geringen Ausgangsniveau statt.

Die Privatisierung der ehemaligen DDR-Unternehmen sei so gut wie abgeschlossen. Von den anfänglich 12.000 Treuhand-Betrieben stünden nur noch 750 zum Verkauf, zumeist im Bereich der sogenannten industriellen Kerne. Trotz einiger in letzter Zeit bekanntgewordener Problemfälle sei die Privatisierung ein voller Erfolg, behauptet Rexrodt, der kürzlich selbst noch Treuhand-Manager war. Es seien sogar mehr Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten worden, als von den Käufern insgesamt zugesichert wurden.

Die industriellen Kerne, vor allem die Bereiche Chemie-, Maschinenbau- und Textilindustrie, sollen unbedingt erhalten werden. Aber Bestandsgarantien oder einen Entlassungsstopp soll es keinesfalls geben. Rexrodt befürchtet offenbar, sich ansonsten Dauerkostgänger des Staates heranzuzüchten. Den Problembetrieben sollen nur zusätzliche finanzielle Hilfen und etwas mehr Zeit gewährt werden – dann müssen sie auf eigenen Beinen stehen.

Immerhin seien durch Maßnahmen der Bundesregierung seit der Einheit Investitionen von über 150 Milliarden Mark auf den Weg gebracht und drei Millionen Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen worden. Jetzt seien vor allem Absatzhilfen zu leisten, etwa bei Marketing und Produktoptimierung; dafür soll das Kabinett zusätzlich 55 Millionen Mark bewilligen. Durch mehr Hermes-Bürgschaften für Exporte soll außerdem der Osthandel gefördert werden.

Wenn es trotz aller Hilfe von Wirtschafts- und Finanzministerium weiter Schwierigkeiten gibt, dann ist der Schuldige auch schon gefunden: Die Tarifentwicklung sei der Knackpunkt für die Ostunternehmen. Einen Lohnanstieg von 19 Prozent im Durchschnitt aller Branchen könnten eine ganze Reihe von Unternehmen nicht verkraften. Der Wirtschaftsminister forderte von den Gewerkschaften „mehr Flexibilität“ bei den Tarifvereinbarungen.

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