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Ödnis am Pariser Platz

■ Nach einer Polizeirazzia gibt es keine Händler mehr am Brandenburger Tor / Selbst die Touristen langweilen sich

Tiefe Stille herrschte gestern mittag rund um das Brandenburger Tor und mitten auf dem Pariser Platz. Dort, wo bis vor kurzem noch fast 200 Straßenhändler aus Osteuropa ihre industriell gefertigten Lackkästchen, die falschen Bernsteinketten und all den ganzen Nachlaß aus sowjetischen Militärbeständen an die Touristen verscherbelten, ist nur noch ein einziger einsamer Stand. „Kampf dem Delphintod“, steht auf einem Plakat zu lesen, und ein Aktivist der Organisation „Animal Peace“ sammelt Unterschriften.

Der am Freitag nachmittag von der Polizei gut vorbereitete „Schlag“ gegen die illegalen Straßenhändler, wie es im Kripo-Jargon heißt, war rabiat erfolgreich. Weg sind die vielen Verkäufer aus Rumänien, aus Tadschikistan und Aserbaidschan, wie vom Erdboden verschwunden, und mit ihnen auch gleich sämtliche Postkarten-, Eis-, und Mauerstückchenverkäufer. Leer und langweilig präsentiert sich den Hauptstadtbesuchern jetzt die Mitte von Berlin, und wäre da nicht das Brandenburger Tor, sie könnten meinen, sich in eine Vorstadt von Hannover verirrt zu haben. Und damit auch alles weiterhin hübsch steril bleibt, stehen Polizisten mit Macho-Sonnenbrillen in Hab-Acht-Stellung und passen auf, daß nur ja kein neuer Händler die Touristen aufs neue neppt.

250 uniformierte, dazu in Zivil verkleidete Polizisten und Mitarbeiter vom Zoll und dem Bezirksamt Mitte hatten am Freitag um 14.30 Uhr den Platz mit Flatterleinen und spanischen Reitern abgesperrt. Mit Videokameras liefen die Polizisten herum und dokumentierten die Händler und Kunden. Anschließend sammelten sie fünf Stunden lang Souvenirs, Orden, Uhren, vielleicht auch ein paar aus Rußland geschmuggelte Ikonen ein, insgesamt 10.000 Teile. Jedes beschlagnahmte Stück wurde sorgsam in einem Protokoll vermerkt. Was mit dem Sammelsurium passiert, konnte gestern die Polizei nicht sagen. Natürlich schrieben die Polizisten auch 30 Anzeigen wegen Verstößen gegen das Straßengesetz, wegen Steuerhinterziehung und den Verdacht auf Hehlerei. Drei Männer, die gegen das Asylgesetz verstoßen hatten, wurden festgenommen. Sie befinden sich jetzt, wie die Pressestelle der Polizei gestern sagte, in Abschiebehaft. Die ganze Aktion sei notwendig gewesen, so hieß es weiter, weil die illegalen Händler keine Gelegenheitsverkäufer, sondern Glieder eines straff organisierten und damit kriminellen Gewerbes seien. Die Antirassistische Initiative hingegen meint, daß die Polizeiaktion „ausländerfeindlich“ gewesen sei. Nachdem schon der sogenannte Polenmarkt am Reichpietschufer geschlossen wurde, habe die Polizei weitere Arbeitsplätze der „Ärmsten dieser Stadt“ vernichtet. Sie forderte den Senat auf, die Stimmungsmache gegen die ImmigrantInnen zu beenden und den Händlern am Pariser Platz Standgenehmigung zu erteilen. Den sich jetzt langweilenden Touristen wäre das vermutlich auch recht. Anita Kugler

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