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Die „Diebesrasse“

Tiefe Identitätskrise der italienischen Wirtschaft nach der Selbstmordserie von Wirtschaftskapitänen  ■ Aus Ravenna Werner Raith

Vor einem Jahr hatte er zu so etwas wie einem titanischen Kampf angesetzt. Atemlos war die Welt ihm gefolgt, als er mit seiner Yacht „Il Moro di Venezia“ nach dem „America's Cup“ griff, als quasi endgültige Herausforderung der Alten an die Neue Welt, die die begehrteste aller Segeltrophäen bisher fast unangefochten gehalten hatte. Nächtelang hatte nicht nur Italien und nicht nur das Sportvolk Wendemanöver und Rahensetzen verfolgt, Windkurse studiert und tags darauf in den Bars kommentiert — bis zum bitteren Ende, als dann doch die Amerikaner die Nase vorne hatten. Verbittert schloß sich Herausforderer Raul Gardini, Miteigner des Ferruzzi- Konzerns, Mit-Konstrukteur und Eigner der Yacht, in sein Hotel ein und soll sogar geweint haben.

Nun hat er gar noch das Ende jenes Mannes genommen, dessen Namen auf der Yacht stand: Wie der „Mohr von Venedig“ hat er sich umgebracht; doch darin war die Episode „America's Cup“ nur ein kleines Detail. Daß ein Haftbefehl gegen ihn nur noch eine Frage von Stunden war, wußte nicht nur er, sondern ganz Italien, seit die Zeitschrift Il Mondo für den Wochenanfang Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll des einstigen Chefmanagers der chemischen Industrie, Guiseppe Garofano, ankündigte.

Darin hatte Gardinis ehemaliger direkter Untergebener detailliert berichtet, wie der Ferruzzichef höchstpersönlich Anweisungen zur Fälschung von Bilanzen gab, um riesige Löcher aus verunglückten Manövern (bisher geschätzte Summe: mehr als eine Milliarde Dollar) zu kaschieren. Wie er darüber hinaus schwarze Kassen in Höhe vieler hundert Millionen Dollar anlegte, um Parteien und Politiker zu schmieren. Und wie er sich mit Managern des einst staatlichen Chemiekonzerns ENI absprach, um aus der Fusion mit seiner Firma das europaweit größte Unternehmen der chemischen Branche zu zimmern. Nach zwei Jahren gab er es dann an den Staat zurück, mitsamt einem Defizit von einer halben Milliarde Dollar. Der Schock über den Freitod des 59jährigen Managers sitzt tief, nicht nur bei Unternehmerkollegen. Just zur Todesstunde Gardinis wurde auch einer seiner Kollegen, der ehemalige Chef zahlreicher Staatskonzerne, Gabriele Cagliari, zu Grabe getragen – aus dem Leben geschieden durch Selbstmord im Gefängnis.

Es ist nun schon der zehnte Suizid seit Jahresanfang im Zusammenhang mit Schmiergeldaffären und Korruption. Doch während die anderen Toten meist angestellte Manager oder Beamte waren, war Gardini in Italien Symbolfigur für die in Italien so hoch geschätzte Familienwirtschaft. Schon als junger Mann war er zum Ferrari-Konzern in Ravenna gestoßen und hatte sofort das Herz des Patriarchen Serafino Ferrari gewonnen, der gerade dabei war, aus seiner Zementfabrik einen Großkonzern zu schmieden. Am Ende stand Europas größter Lebensmittel- und Agrarmulti. Gardini, als Charmeur bekannt, heiratete die Tochter des Chefs und wurde in den 70er Jahren zur unbestrittenen Nummer eins des Konzerns.

Ein Selfmademan mit dem ausgeprägten Familiensinn, der in Italien so kräftig zieht – zwar tausend Abenteuer, aber keines so, daß die eigene Frau oder die Familie dadurch erniedrigt wird. Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ er sich den Spitznamen il contadino, der Bauer, aufdrücken, der neben dem hochnoblen Avvocato (Anwalt) des Fiat- Eigners Gianni Agnelli oder dem Ingegnere (Ingenieur) von Olivetti-Chef Carlo De Benedetti eher abwertend schien; dafür sagte er in den Blütezeiten seines Unternehmens Sätze wie „Italiens Chemie bin ich“, und basta.

Vor vier Jahren zog er sich plötzlich aus der Geschäftswelt zurück. Die Familie zeigte erstmals Zweifel an seiner Fähigkeit, als die Fusion mit der staatlichen Chemie rückgängig gemacht werden mußte.

Doch der Schock geht noch weit über den speziellen Fall Gardini hinaus: Italiens kleiner Bürger sieht nun endgültig seine großen Bürger demaskiert. Das Familienunternehmen, bis heute auch von staatlicher Seite als „der“ Kern italienischer Ökonomie gepriesen, manifestiert in den noch immer existierenden riesigen Konzernen in Familienhand, wird nun zum Paradebeispiel für Unfähigkeit, Unkorrektheit, ja Piraterie und Spielertum. Unbeeindruckt von den großen Trauerreden der Politiker und Manager gehen die Staatsanwälte weiter ihren Weg und verhafteten gleich nach dem Tod Gardinis drei seiner vordem wichtigsten Mitarbeiter. Zudem kündigten sie die Veröffentlichung aller gegen Gardini vorgebrachten Anklagepunkte an. Und da bleibt von dem erfolgreichen, harten, aber doch im Ganzen korrekten Unternehmer, als den er sich gab, nichts mehr übrig: ein Hasardeur, ein Aufschneider, ein Fälscher und ein Ausbeuter seiner Arbeiter, das ist alles.

Böse steigt da der Verdacht auf, nicht nur Gardini könnte so gewesen sein. Schon müssen sich Fiat- Generalmanager Cesare Romiti (die Nummer zwei des Konzerns, gleich unter „Gottvater“ Agnelli) und Olivetti-Chef De Benedetti ebenfalls auf eine Anklage wegen Bestechung und Bildung schwarzer Kassen vorbereiten. Und keiner weiß, ob am Ende nicht auch Demaskierungen wie bei Gardini drohen. Dalla razza padrona alla razza ladrona, von der Herrscher- Rasse zu Diebes-Rasse, titelte ein Wirtschaftsmagazin gnandenlos den Imageverfall der italienischen Familienunternehmen.

Gardini hat den Verfall des Ansehens nicht nur seiner Person, sondern seiner eigenen Schicht wohl gefühlt. Vielleicht auch deshalb hat er, im Gegensatz zu seinem Selbstmord-Vorgänger Cagliari, der wahre Abschiedsbrieffluten hinterlassen hat, nur eine kleine Visitenkarte neben das Bett gelegt, adressiert an seine Familie: „Grazie“.

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