Die Angst vor dem Sparen

Wirtschaftsinstitute kritisieren mangelnden Subventionsabbau / Die meisten Subventionen werden im Etat versteckt  ■ Von Alois Berger

Berlin (taz) – Als Möllemann noch Wirtschaftsminister war, versprach er, entweder die Subventionen um 10 Milliarden Mark abzubauen oder zurückzutreten. Inzwischen ist er zurückgetreten, aber nicht wegen fehlender Subventionskürzungen, sondern wegen einer Überdosis Plastikchips für Einkaufswagen. Wäre er noch Wirtschaftsminister, müßte er spätestens jetzt, nach dem als Durchbruch gefeierten Sparpaket der Bundesregierung, den Hut nehmen. Von den 45 Milliarden Mark, die der Finanzminister 1994 und 1995 einsparen will, gehen ganze 3,1 Milliarden Mark auf den Abbau von Subventionen zurück. Die anderen 93 Prozent werden bei Arbeitslosengeld und sonstigen Sozialleistungen weggekürzt.

Und selbst die mageren 3,1 Milliarden, die stolz als Subventionsabbau verkauft werden, sind nach Ansicht des Wirtschaftsinstituts HWWA eine „Mogelpackung“. Die Verschiebung der Agrarsozialreform etwa bedeute lediglich, daß sich die Regierung mit der Einführung geplanter neuer Subventionen noch etwas Zeit läßt. Bei der Kokskohle-Beihilfe würden die Lasten nur vom Bund auf die Länder verschoben.

Das Einfrieren der Haushalte für Forschung und für Entwicklungshilfe als Subventionsabbau darzustellen, ist nach Ansicht des HWWA ein „schlechter Witz“. Zwar sind viele Entwicklungsprojekte tatsächlich nichts anderes als Subventionen an deutsche Unternehmen, so etwa wenn China Entwicklungskredite bekommt, um damit Schiffe aus Rostock zu kaufen. Deshalb aber die ganze Entwicklungshilfe unter Subventionen aufzulisten, gehe dann doch zu weit.

Unterm Strich muß kein Unternehmen auf die gewohnten Zuschüsse vom Steuerzahler verzichten. Aber immerhin hat der Finanzminister in seiner Sparliste eingeräumt, was er bisher immer bestritten hat: Sowohl der Agrarbereich als auch die Entwicklungshilfe werden von der Bundesregierung normalerweise nicht unter der Rubrik Unternehmenssubventionen geführt. Die Unterstützung des deutschen Nährstandes, jährlich rund 16 Milliarden Mark, läuft über die EG, heißt deshalb Übertragung an internationale Organisation und taucht in der deutschen Subventionsliste nicht auf. Die Bundesregierung kommt wegen ihrer eigenwilligen Zuordnung für 1992 beim Zusammenzählen der Finanzhilfen an Unternehmen auf nur knapp 52 Milliarden Mark. Die Wirtschaftsforschungsinstitute zählen 136 Milliarden Mark auf.

Einer der Gründe, warum die Regierungen für die Subventionen immer neue Pseudonyme erfindet, ist in Brüssel zu suchen. Die EG- Wettbewerbshüter werten Zuschüsse der Regierungen an Unternehmen meist als Marktverzerrung und verbieten sie deshalb. Um dies zu umgehen, hat zum Beispiel die italienische Regierung statt direkter Finanzhilfen den Stahlkonzernen unbegrenzte Garantien für die Bezahlung von Schulden gegeben. Die beglückten Unternehmen können nun ihre Produkte auf dem internationalen Markt von allen Schulden unbelastet günstiger verkaufen als die Konkurrenz.

Selbst die Industrieverbände geißeln immer mal wieder die Subventionsmentalität, die sich in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft breitgemacht habe. Gelegentlich fordern sie auch den Abbau von Subventionen. Aber sobald ein Politiker das Wort „Kohlepfennig“ in den Mund nimmt, oder wenn er die beiden Wörter „Stahl“ und „Sparen“ in ein und demselben Satz unterbringt, dann schweigen die Dachverbände und protestieren die Branchenorganisationen.

Das wichtigste Argument sind dabei immer die Arbeitsplätze. Die Abschaffung des Kohlepfennigs etwa gefährde Tausende von Arbeitsplätzen, sagen die Grubenbetreiber. Die Regierung läßt deshalb die Finger von den Kohle- Subventionen, die einschließlich des Kohlepfennigs zur Zeit rund 8,5 Milliarden Mark betragen, pro Kumpel fast 53.000 Mark.

Entgegen der Annahme, die maroden ostdeutschen Betriebe verschlängen all das Geld, gehen knapp zwei Drittel der Bundessubventionen an westdeutsche Unternehmen. Die Wirtschaftsinstitute befürchten, daß die Subventionen in den nächsten Jahren schon deshalb steigen werden, weil den Betrieben im Osten nicht verweigert werden kann, was für westdeutsche Firmen eingeführt wurde.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordert seit langem, Steuervergünstigungen und Finanzhilfen an Unternehmen nur noch mit zeitlicher Begrenzung zu gewähren. Das würde die Politiker zwingen, sich regelmäßig mit den einzelnen Zuschüssen und ihren Zielsetzungen zu befassen. Der Sinn von Subventionen, nämlich Betrieben zu helfen, eine Durststrecke zu überwinden oder sich an plötzlich veränderte Marktumstände anzupassen, sei längst zur bequemen Dauerhilfe verkommen. Zwei Drittel der Steuervergünstigungen sind vor mehr als 20 Jahren eingeführt worden, klagt das DIW, knapp ein Fünftel sogar vor 1950. Würde man allein die Steuervergünstigungen streichen, die vor 1950 eingeführt wurden, ließen sich damit jährlich über 6 Milliarden Mark einsparen. Das wäre fast viermal soviel wie das, was der Finanzminister den Wählern zur Zeit als großen Erfolg vorgaukelt.