: Bald mehr Gift im Trinkwasser?
Wasserwerke und Umweltschützer befürchten, daß die Grenzwerte für Pestizide im Trinkwasser aufgeweicht werden / Anhörung im Landwirtschaftsministerium ■ Von Nicola Liebert
Berlin (taz) – „Gifte marsch?“ – unter diesem Titel warnten Vertreter der Deutschen Wasserwerke, des Pestizid-Aktions-Netzwerkes sowie der Kölner Umweltagentur Kristall vor der Gefahr, daß die EG-Trinkwasser-Richtlinie gefährlich aufgeweicht wird.
Morgen veranstaltet das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Anhörung zur Pestizidzulassung. Konkret geht es dabei um die EG-Richtlinie über das „Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln“. Deren Ziel ist es, für alle EG-Länder einheitliche Grundsätze über die Prüfung von Pestiziden zu entwickeln. Diese Frage ist eng mit der Trinkwasserqualität verknüpft, denn die Pestizide gehören zu den problematischsten Stoffen im Trinkwasser.
Die EG-Trinkwasser-Richtlinie, die seit 1989 auch in Deutschland gilt, sieht sehr strenge Grenzwerte für Pestizide vor: maximal 0,1 Millionstel Gramm eines einzelnen Pestizids und höchstens 0,5 Millionstel Gramm Gesamtbelastung. Aufgrund dieser strengen Richtlinie wurden die Zulassungsverfahren für Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel erheblich verschärft. In der Bundesrepublik wurde zum Beispiel das umstrittene Pestizid Atrazin verboten.
Den Pestizidherstellern, organisiert im Industrieverband Agrar (IVA), ist diese Regelung natürlich ein Dorn im Auge. Sie wollen lieber eine Vielzahl von Einzel- Grenzwerten – bei der enormen Anzahl von Pestiziden könnte die Gesamtbelastung im Trinkwasser dann fast beliebig hoch sein. Für den 23. und 24. September hat die EG-Kommission zu einer Konferenz über die Richtlinie nach Brüssel geladen. Daß sich die Agrarchemie-Hersteller bei einer Novellierung der EG-Trinkwasser- Richtlinie durchsetzen, ist gar nicht so unwahrscheinlich, zumal auch im Bundeslandwirtschaftsministerium offenbar die Meinung vorherrscht, daß im Interesse der Landwirtschaft die Grenzwerte aufgeweicht werden sollten.
Besondere Empörung ruft bei Wasserwerkern und Umweltschützern ein zusätzlicher Anhang an die EG-Verordnung über die Pestizid-Zulassung hervor. Dort sind 90 Wirkstoffe aufgeführt, deren Zulassung zur Vermarktung in allen EG-Staaten als erstes geprüft werden soll. Dazu zählen zahlreiche Gifte, die in der Bundesrepublik verboten sind, da sie als krebserregend oder mutagen gelten, so etwa Atrazin oder Paraquat.
Die Vertreter der Wasserwirtschaft warnen, bei einer Aufweichung der Bestimmung und einer Zulassung der umstrittenen Mittel sei eine Einhaltung der strengen Grenzwerte ohnehin nicht möglich. Damit würde die Trinkwasserrichtlinie sowieso praktisch außer Kraft gesetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen