: Urbilder in Schichten
■ Maler Andreas Girth erhielt den Ernst-Barlach-Preis
In den schönen Räumen des Ernst-Barlach-Museums in Wedel fällt allzu trübes Licht auf archaische Bilder. Aus der dunklen Ölfarbe treten paarige Gestaltungen hervor, Geistwesen aus uralten Zeiten oder tiefsten Seelenschichten. Große Köpfe mit spärlichen Gliedmaßen stehen sich spiegelbildlich gegenüber, konfrontieren sich in der gegenseitigen Beobachtung erstarrt selbst dann, wenn sie durch die Füße miteinander verbunden sind. Viel Metaphorisches ist in diese streng stilisierten Figuren hinein zu deuten: tief traurige existentialphilosophische Gedanken zum dualen und doch ewig einsamen Leben, zu vergeblicher Kommunikation trotz scheinbarer Nähe und über abgestorbene Beziehungen. Die Bilder werden zu Sinn-Zeichen einer inmitten rasender Bewegung doch so erstarrten Zeit.
Aber die Arbeiten von Andreas Girth sind vor allem Malerei, monatelang durchgestaltend veränderte Farbflächen. Immer an mehreren Bildern zugleich tätig, erstellt der Hamburger Maler in langen Dialogen mit der Leinwand seine Figuren zwischen Art Brut und psychologischen Urbildern. Zu den scheinbar so intellektuellen Chiffren für kaum mögliche Annäherung fand Andreas Girth erst vor einigen Jahren. Die früheren Arbeiten aus den 80er Jahren sind in den Keller verbannt. Es sind nervös-polydynamische Farbabstraktionen, gestisch zerfranzt und vielfarbig.
Es war diese Malerei, die der Stifter des Ernst-Barlach-Preises, der 1989 an AIDS gestorbene Andreas Schmolze kannte. Der Versicherungskaufmann und besessene Kunstsammler hatte 1989 bei seinem Tod mit erst 37 Jahren nicht nur seine Sammlung dem neuen Museum in Barlachs Geburtshaus überlassen, er setzte auch einen jährlich zu vergebenden, mit 20.000 Mark dotierten Preis für junge Künstler aus und bestimmte testamentarisch noch die ersten fünf Preisträger.
Als vierter Laureatus erhielt der 33jährige Andreas Girth die Förderung. Bis 1990 Student der HfbK in der Klasse von Professor Koberling, präsentiert er nun einen Zyklus von über 20 Paaren dazu einen Mädchenkopf und ein leuchtend gelbes Bild mit Carrom-Spielern. Die erdigen Farben sind glänzend gefirnißt und selbst in dieser abschließenden Schicht sind noch Figuren zu erkennen: Negative Formreste übermalter älterer Paarungen legen sichtbare Zeitschichten über einige Bilder. Kalte Opposition, unterschwellige Verschmelzung: Eine formal überzeugende, inhaltlich bestimmte, aber nicht überdefinierte Kunst für die 90er Jahre.
Sie bleibt in der Schwebe, passend zu dem etwas scheuen Künstler, der Katastrophen für alltäglich hält, die Zukunft der Malerei als „gut durchwachsenen Eklektizismus“ beschreibt und den Kunstbereich seit eh und je für eine marginale Beschäftigung weniger Interessierter einschätzt. Hajo Schiff
Mühlenstr. 1, Wedel/Holstein, bis 10. Oktober, Di bis So, 10-12 Uhr, 15-18 Uhr; Katalog 25 Mark
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