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Die Route des Bären

■ Gerd Ruges Fernsehabschied: Ein Dreiteiler in West 3

Moskau, Pressezentrum des russischen Außenministeriums, am 23. August: WDR-Intendant Friedrich Nowottny verabschiedet offiziell Moskau-Korrespondent Gerd Ruge, der vor kurzem 65 geworden ist. Er nennt ihn einen Glücksfall für den WDR und für die deutsch-russischen Beziehungen, denn „er kann hinreißend beschreiben und beredt schweigen“. Köln, russisches Restaurant „Hotelux“, am 26. August: WDR- Chefredakteur Fritz Pleitgen erzählt bewegt von der Feier am historischen Moskauer Schauplatz, nennt Gerd Ruge den besten Mann in der letzten Bastion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der Auslandsberichterstattung, und verabschiedet sich. Alle anderen – darunter Gerd Ruge und Frau Irma, Kameramann Dieter Perschke und Tonmann Edgar Welling – essen Borschtsch und sehen zwei der drei jüngsten Filme von Gerd Ruge. Eine Reihe, die sich von dem reiselustigen, rüstigen Rentner endlos fortsetzen ließe: „Gerd Ruge unterwegs“.

Seine Stärke waren immer die Berichte mit viel Herz und Seele, in denen der kleine Soldat und die tapfere Verkäuferin zu Wort kamen und von ihrem Leben nach dieser oder jener Reform, Preiserhöhung oder Putsch berichteten. Für seinen Dreiteiler ging Ruge in den „Wilden Osten“, eine Region, die ihn, wie er sagt, schon immer interessiert habe.

Zwei Monate war er am Ostrand Asiens unterwegs, unermüdlich auf der Suche nach Menschen, die ihm von den sich langsam ändernden Lebensumständen erzählen. Er begann am Amur, dem vormals umkämpften Grenzfluß zwischen Rußland und China. Seit 1986 wird hier legal Handel betrieben. Auf der russischen Seite, in Blagowestschensk, jammern die Käufer über den Müll, plagiierte deutsche Sportbekleidung etwa, den die Chinesen als Gegenleistung für ihre schönen russischen Traktoren liefern würden. In Hei He dagegen, jenseits des Flusses, wird beklagt, daß man für die Russen all dies billige Zeug herstellen müsse, weil die ja keinen Geschmack haben. Die Stadt ist bunt und etwas freundlicher, auch hier haben ein paar Leute gut an der zaghaft blühenden Marktwirtschaft verdient, die noch immer den Beigeschmack von Schwarzmarkt hat.

Im zweiten Teil zeigt das Ruge- Team erneut Gegensätze. Auf russischer Seite, in Wladiwostok, sieht es wieder erbärmlich aus, graue Anoraks, Plattenbauten, mieses Wetter. Bei der Überfahrt nach Japan geht die Neonsonne auf. Doch bei den Verhandlungen fehlt den russischen und japanischen Delegationen der gemeinsame Gesprächsstoff. Ruge zeigt den Witzgehalt solcher Verhandlungsversuche, ohne mit Hohn auf die fernöstliche Wirtschaft zu blicken.

Auch im dritten Teil krasse Gegensätze innerhalb der Bevölkerung, die teils dies- und teils jenseits des ehemaligen Todesstreifens zwischen der russischen Tschuktschen-Halbinsel und Alaska lebt. Ruge bringt auch hier nicht nur Menschen vor die Kamera, die offen über ihr Leben reden, er hat scheinbar auch die Gabe, immer gleich nach Hause eingeladen zu werden: von der Marktfrau, dem Autohändler. Statt langem Gerede über die Lebensumstände hier und da gibt es einfach Bilder davon.

Gerne erzählt der Korrespondent, der auch schon aus den USA (1964-69) und aus Bonn (1970-73) für die ARD berichtete, von seinen Erlebnissen. Wie in seinen Filmen sind da immer wieder Rückbezüge auf vergangene Jahrzehnte. Die Geschichte Rußlands und des Fernen Ostens ist tatsächlich auch seine Geschichte. So souverän und dabei noch unterhaltsam wie seine jüngsten Dokumentationen sind nur wenige im deutschen Fernsehen. Oliver Rahayel

West 3-Termine: „Jenseits des Amur“, heute, 20.15 Uhr; „Morgenrot und Zarenadler“, Di., 20.15 Uhr; „Die Route des Bären“, Mi., 21.45 Uhr

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