: Landschaft mit Fragment
Hang zur Idée fixe: Hans Scharoun in einer umfangreichen Ausstellung der Berliner Akademie der Künste. Eine Hagiographie zum hundertsten Geburtstag, kritisch überdacht ■ Von Martin Kieren
Es gibt viele Architekten, die sich auf ihn berufen. Einige Kritiker schwelgen und sehen in seinen Bauten, vor allem der Berliner Philharmonie, so etwas wie „demokratische Architektur“ verwirklicht. Legion sind die Kollegen, die auch mal scharounesk „schräg“, „fließend“ oder „amorph“ entwerfen und darin dem Meister in nichts nachstehen wollen – meist mit fragwürdigem bis grausigem Erfolg. Andere wiederum sehen in seinen Planungen nach dem Krieg die Anfänge der Stadtzerstörung, die Auflösung und Negierung der städtischen Elemente in der Architektur – eben weil Scharoun als Stadtbaurat Berlins nach dem Kriege seine eigene Vision von Stadt verfolgte.
Die Suche
Der 1893 in Bremen geborene Hans Scharoun interessiert sich sehr früh für das Bauen: die ersten Dokumente, die das belegen, stammen aus dem Jahre 1907. Seine frühen Zeichnungen haben denn auch den für die Zeit typischen Hang zum Monumentalen. Auch nach dem Ersten Weltkrieg und die zwanziger Jahre hindurch ist dieses „Typische“ seiner Zeit immer zu erkennen: er zeichnet, plant und baut erst expressionistisch, dann monumental-expressiv, dann sachlich. Zeitlebens kennzeichnet seine Bauten ein Prozeß der Suche. Was er sucht, ist das Zeitgemäße und ein eigener Stil; die Ansprüche des Auftraggebers sollen erfüllt und eine seinen Raumvorstellungen folgende architektonische Gestalt erreicht werden. Dabei sind seine Beiträge zur Großsiedlung Siemensstadt („Weiße Stadt“) und seine beiden Wohnhäuser am Hohenzollerndamm und am Kaiserdamm, alles in Berlin, gelungene Beispiele für die anschließende „Findung“ nach solch langwieriger Suche.
Die während der dreißiger Jahre gebauten Wohnhäuser für Privatiers stehen allerdings in einem seltsamen Kontrast zu seinen „Wohngehöft“-Beiträgen dieser Zeit, zum Beispiel für die „Neue Heimat“ und die „Deutsche Arbeitsfront“. Gerade vor dem Hintergrund des stilistischen Opportunismus der letzteren, bei denen sämtliche Errungenschaften des Siedlungsbaues der zwanziger Jahre auf der Strecke blieben, wirken die Privatwohnhäuser eher möchtegern-modern, geradezu spießig. Scharoun hatte übrigens in dieser Zeit als Architekt gut zu tun.
Nach dem Kriege zum ersten Stadtbaurat (noch Gesamt-Berlins) berufen, konnte er bis zu seinem Tode eine Reihe von bedeutenden Projekten realisieren. Sein Theater in Wolfsburg, die Staatsbibliothek und vor allem die Philharmonie in Berlin sind wohl seine bekanntesten Bauten dieser Jahre.
Scharouns 100. Geburtstag böte gegenwärtig Anlaß und Gelegenheit genug, so etwas wie „Erinnerungsarbeit“ zu leisten. Sie könnte der Frage nachgehen, wie seine Generation über die Gestalt des Einzelhauses und dessen Funktion in der Stadt nachdachte, wie sie sich die Stadt als funktionierendes Gebilde vorstellte, und nicht zuletzt, welche Rolle dem Architekten bei der Organisation dieses funktionierenden Gebildes Stadt zugekommen wäre. Scharoun war als Architekt, Stadtplaner und „Organisator“ an einigen Maßnahmen, die das Stadtbild Berlins prägten, mitbeteiligt und er hat als Vertreter seiner Generation in einigen typischen Positionen gearbeitet. Dabei sind seine Stellung in der lokalen und der internationalen Architekturgeschichte und die Bedeutung seiner Arbeiten für Berlin bis heute bei den Kritikern umstritten.
Nun besteht die Möglichkeit, das Werk dieses Mannes in einer breit angelegten Werkschau in der Akademie der Künste am Berliner Tiergartenrand zu betrachten. Natürlich hat die Akademie die Pflicht, ihren ersten Präsidenten (1955-1968) und dazu einen in der Stadt so populären Architekten entsprechend zu würdigen. Aber zu fragen bleibt doch, ob das in dieser hagiographischen und zuletzt eher unkritischen Weise geschehen muß. Gewiß: Die für die Ausstellung verantwortliche Forschungsgruppe der Hochschule der Künste hat im eigenen Denk- system und gemessen an dem, was man intendierte – nämlich eine rein biographische Ausstellung – Herausragendes geleistet. Der bewährte Ausstellungsarchitekt Lorenz Dombois ist dazu wie immer zugleich streng und verspielt – und erfinderisch dort, wo es um die originären Eigenschaften dessen geht, der gewürdigt werden soll. Allerdings: Die Ausstellung ist zu schön.
Zu fragen bleibt eben, ob man eine Architektur-Ausstellung in dieser Form noch will, ob sie wirklich nützt. Sie folgt streng chronologisch dem Leben und Werk Scharouns und beraubt uns so der Möglichkeit, die „Themen“ aufzuspüren, um die es in der gegenwärtigen Situation bei der Suche nach der Identität und dem zukünftigen Bild der Stadt gehen könnte.
Das Thema
So hätte man als Thema den Umgang mit Stadt, mit diesem hochverdichteten Agglomerat wählen können. Ein Großteil von Scharouns Schaffen geht zuletzt nämlich auf die Vision einer „neuen Stadt“ zurück – einer Stadt allerdings, die sich deutlich von dem Gebilde abhebt, das sich bis zum Zweiten Weltkrieg entwickelt hat und prägend für die vieldiskutierte „europäische Stadt“ ist. Scharoun sah nach dem Kriege in Berlin die Möglichkeit, die von den Bomben zerstörten Bereiche nach seiner Vision neu zu gestalten. Oberste Devise war dabei die in der Nachkriegszeit von verschiedenen Seiten erhobene Forderung nach der „aufgelockerten und gegliederten Stadt“: „Stadtlandschaft“ war das Zauberwort.
Diese „Stadtlandschaft“ meinte die gegenseitige Durchdringung von naturräumlichen Gegebenheiten und baulichen Mitteln beziehungsweise Architektur-Objekten, wobei das Wechselspiel von Verdichtung und Auflösung als oberster Planungs-Parameter gesehen wurde. Konsequentestes Beispiel und erstes Arbeitsergebnis für diese Vision war der unter Scharouns Leitung als Stadtbaurat Gesamt-Berlins entstandene und mittlerweile schon legendäre „Kollektivplan“ von 1946, sowie als dessen Weiterentwicklung sein Beitrag zum Hauptstadtwettbewerb von 1958. Wenn man nun in der Ausstellung als Kommentar zum Kollektivplan liest: „Die Planung nimmt die historisch gewachsenen Strukturen der Stadt auf“, dann bezeichnet genau das die unkritische Haltung gegenüber Scharoun, womit man ihm wahrscheinlich auch noch Unrecht tut.
Scharoun wollte bewußt die Zerstörungsarbeit der Bomben zum Ausgangspunkt seiner visionären Vorstellungen vom „neuen“ Stadtgebilde machen. Die stehen gelassenen „Baudenkmale“ zwischen dem historischen Zentrum und dem Charlottenburger Schloß
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als dem Kernbereich seiner großflächigen Planungen dieser Zeit sieht Scharoun eher wie Objekte, eingestellt in seine amorphen Grün-Flächenmuster – und eben nicht eingebunden in einen städtischen Kontext, aus dem sie einerseits erwuchsen, den sie andererseits aber auch wieder neu definierten. Er sah nicht die Stadt mit „Grün“, sondern umgekehrt eher die grüne Landschaft mit städtischen Fragmenten, mithin deren gleichgewichtige und -wertige Funktion. Als Prototyp für diese Planungshaltung ist das sogenannte „Kulturforum“ am Kemperplatz anzusehen, dessen strukturelle Einbindung in die Stadt heute mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.
Deutlich wird Scharouns Haltung zur Geschichte und zum Umgang mit den Restbeständen auch an seinem vielgepriesenen Rettungsversuch des Schlüterhofes des Stadtschlosses: Er funktionalisiert dessen Fassaden gleichsam als Kulissen und implantiert sie in eine neue Baulichkeit ganz eigenartigen und fragwürdigen Charakters: Die Fassaden dienen nämlich als Tribünen für die Beobachter politischer Aufmärsche.
Das Haus
Ähnlich verhält es sich auch mit der Architektur, mit den Stein gewordenen Gebilden Scharouns, die immer etwas leicht Preziöses besitzen. Seine Ein- und Mehrfamilienhäuser folgen dabei einer Raumidee, die diese Räume als fließende, ineinander verwobene Einheiten sieht. Die optimale Lichtführung für alle Räume, der Bezug des Innenraumes zum Außenraum, die innere Erschließung und die Kombination von „Wohnzellen“ als kleinste Einheiten waren dabei seine Entwurfskonstanten.
Aber diese Bauten haben sich eigentlich nie recht gelöst vom Visions-Gehalt der Skizzen und Aquarelle, die Scharoun entweder zum Ausgleich malte oder aber dann, wenn er nichts zu bauen hatte und so seine Kräfte sammelte. Diese bildnerischen Arbeiten werden in der Ausstellung den Plänen und Fotos seiner Gebäude gegenübergestellt, so daß man die Arbeitsweise des Architekten sehr gut nachvollziehen kann. Scharoun war gleich nach dem ersten Weltkrieg Mitglied der sogenannten „Gläsernen Kette“, einer visionären Architekten-Gruppe um Bruno Taut. Deren Zeichnungen besaßen diese expressionistisch eingefärbte Aufgeregtheit, etwas Kristallines und zugleich Amorphes der Gestalt, die zur architektonischen Umsetzung in Bauten eher ungeeignet war.
Den bloß entworfenen wie den realisierten Gebäuden erscheint somit jene Aufgeregtheit immer eingeschrieben, die einer „Suche als Prozeß“ eigen ist. Und sie bleibt eben private Obsession, weil sie sich nur aus sich selbst erklärt, aus ihrem Hang zur Idée fixe – der „Stadtlandschaft“ eben: Sie pflügt den sie umgebenden Stadtraum eher um, als daß sie diesen ordnet, sich gar bescheiden zu ihm verhält. Sie wirkt unruhig und gibt gleichzeitig vor, organisch wie Körperlichkeiten zu sein – aber sie vergißt darüber, daß es sich um Artefakte handelt, die eben nicht aus dem Innenraum allein leben können. Diese bleiben Solitäre in ihrer Erscheinung und haben doch wie alle Architektur eigentlich die Funktion zu erfüllen, auch nach außen raumbildend zu sein. Sie müssen sich im sie umgebenden Kontext behaupten, der in der Stadt eben nicht aus Landschaft besteht.
Am Ende macht die Ausstellung die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung darüber deutlich, wie man das Werk Scharouns in die Gestalt der Stadt einbindet und ob sich seine Arbeitsweise sowie die Charakteristik seiner Architektur dazu eignet, sie als Modell fortzuführen – oder ob sie kritisch überdacht werden muß.
Hans Scharoun, Architekt. Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin. Täglich 10-19, montags ab 13 Uhr. Mittwochs Eintritt frei. Bis 31. Oktober 1993.
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