piwik no script img

Demo gegen „Kapitulationspolitik“

Zehntausende Israelis protestierten in Jerusalem gegen ein Abkommen mit den Palästinensern / Polizei löste Sitzblockade vor dem Amt des Ministerpräsidenten gewaltsam auf  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

„Israel ist in Gefahr! Die Regierung übergibt unser Land dem gefährlichsten Feind – der PLO“, wetterte der Vorsitzende des oppositionellen israelischen Likud- Blocks, Benjamin Netanjahu am Dienstag abend in Jerusalem. Vor dem von der Polizei abgeriegelten Amt des Ministerpräsidenten hatten sich Zehntausende Israelis zusammengefunden, um gegen die von der Regierung mit der PLO- Führung ausgehandelte Teilautonomie für die Palästinenser im Gaza-Streifen und Jericho zu protestieren. Die Veranstalter gaben die Zahl der Demonstranten mit 100.000 an, die Polizei sprach dagegen von 50.000.

Von der Rednertribüne aus bezichtigte Netanjahu die von der Arbeiterpartei geführte Regierung der Lüge: „Vor zwei Wochen sagte uns Außenminister Peres, es gebe keine Verhandlungen mit der PLO. In Wirklichkeit verhandelt er aber über die Rückgabe der ganzen Westbank.“ Ministerpräsident Rabin plane „sogar den Rückzug aus dem Golan. Auch die Bewahrung der Einheit Jerusalems ist eine einzige große Lüge.“ Die De- facto-Hauptstadt Israels werde „in Viertel unterteilt werden, und eines davon wird palästinensisch werden“, beschrieb er die Zukunft, für den Fall daß die Regierung ihre Pläne verwirkliche. Davor stünde aber das israelische Volk, das „sein Land nicht aufgeben“ werde. Die zahlreichen Sprecher, die auf Netanjahu folgten, verlangten einhellig Neuwahlen, da die Regierung kein Mandat zur Durchführung ihrer „Kapitulationspolitik“ habe.

Bei der Demonstration waren alle rechten Oppositionsparteien vertreten. Jedoch dominierten die durch ihre Kleidung leicht zu erkennenden Mitglieder von national-religiösen und orthodox-religiösen Gruppen. Anders als bei der ähnlich großen Pro-Regierungs- Demonstration am Samstag in Tel Aviv waren viele Demonstranten in Jerusalem sepharidscher Herkunft, also Juden, deren Familien aus dem Nahen Osten oder Nordafrika nach Israel kamen. Der Charakter der Kundgebung in Jerusalem war auch durch die Anwesenheit zahlreicher Siedler aus den besetzten Gebieten geprägt. Unter ihnen waren viele Religiöse, die mit ihren kinderreichen Familien angereist waren. Deutlich bemerkbar war auch die organisierte Beteiligung ganzer Schulklassen.

Daß die Demonstration der Gegner eines israelischen Abkommens mit der PLO in Jerusalem stattfand, liegt nicht nur daran, daß dort die israelische Regierung ihren Sitz hat. Die rechten und religiösen Parteien haben in und um die Stadt wesentlich mehr Anhänger als in Tel Aviv. Zudem machte es für viele Demonstranten Sinn, gerade in der gemischt jüdisch-arabischen Stadt, ihren Widerstand zum Ausdruck zu bringen.

Auf mitgetragenen Spruchbändern waren Parolen zu lesen wie: „Rabin ist ein Verräter“ oder „Heute Gaza, morgen Jericho, übermorgen alles“ und immer wieder der Hauptslogan „Israel ist in Gefahr! Rückzug verboten!“ Einige Demonstranten trugen israelische Flaggen mit einem blutigen Davidstern in der Mitte. Einige der Orthodoxen trugen den gelben Davidstern mit der Aufschrift „Jude“. Andere religiös-orthodox gekleidete Männer hielten Bilder des vielbewunderten „lubawitscher“ Rabbiners Menachem Mendel Shneerson aus New York hoch. Seine harte Linie gegen jegliche territoriale Konzessionen wird von den Mitgliedern seiner weltweit verbreiteten „Habad“- Gruppe fanatisch unterstützt.

Nach vielen emotionsgeladenen Reden und Gesangseinlagen setzte sich schließlich eine Gruppe in Bewegung, um „das Amt des Ministerpräsidenten zu belagern.“ Sie ließ sich auf der Straße nieder und ignorierte den Aufruf der Polizei, den Weg freizumachen. Den 2.500 Polizisten gelang es nicht, die Blockierer mit Hilfe von Wasserwerfern zu vertreiben. Schließlich wurde Befehl gegeben, die Sitzenden einzeln wegzutragen. Dabei kam es zu Zusammmenstößen, bei denen 38 Demonstranten und einige Polizisten verletzt wurden. Nach der Auflösung der Demonstration am Mittwoch nachmittag hatte die Polizei 24 Demonstranten verhaftet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen