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Wem die Stunde schlägt

In den arabischen Hauptstädten herrscht Konfusion über den Friedensprozeß

Es hat sie offensichtlich eiskalt erwischt. Nur so läßt sich das konfuse Verhalten der arabischen Staaten auf das neue israelisch-palästinensische Abkommen erklären. Einig ist man sich in den arabischen Hauptstädten nur in der Verurteilung der Methode, mit der das neue Abkommen zustande kam. Die geheimen Verhandlungen zwischen der PLO und der israelischen Regierung sind ein Schlag ins Gesicht des arabischen Slogans, „Nur einig sind wir stark“.

Koordination hieß deshalb das Gebot der Stunde, als in Madrid die Verhandlungen begannen. Dahinter stand die Angst, von den USA und Israel über den Tisch gezogen zu werden, falls sich Mitglieder der arabischen Seite zu separaten Abkommen breitschlagen ließen. Genau das ist aber nun mit dem Alleingang Jassir Arafats passiert. Viele der arabischen Verhandlungspartner haben von den Geheimgesprächen in Oslo das erste Mal aus den Medien erfahren. Dabei haben sie die letzte Woche weitgehend damit verbracht, den Details des Abkommens hinterherzulaufen, um das Ganze abschließend zu bewerten. Aber festlegen will sich gegenwärtig sowieso niemand.

Dahinter steckt die alte arabische Konkurrenz in der Frage: „Wer darf zuerst“. Ägypten hatte diese Frage zunächst 1979 mit dem Separatabkommen von Camp David für sich entschieden. Es bekam den 1967 von den Israelis besetzten Sinai im Gegenzug für einen Friedensvertrag zugesprochen. Mit den Madrider Nahost-Gesprächen im Anschluß an den Golfkrieg wurde diese Frage erneut akut.

Sah es zunächst so aus als steuere die Regierung Rabin auf eine Lösung mit den Palästinensern hin, indem sie einen teilweisen Siedlungsstopp verkündete, war bald darauf die Rede von einem syrisch-israelischen Separatabkommen. Israel, so hieß es, könne sich aus den von ihm besetzten Golanhöhen zurückziehen, wenn Damaskus im Gegenzug dazu bereit ist, einen Friedensvertrag mit Israel abzuschließen.

Das jetzt doch zuerst Arafat zum Zuge kam, führte in Damaskus zunächst zu langen Gesichtern, wenngleich man dort immer noch hofft, als nächster an der Reihe zu sein. Die neueste Verhandlungsrunde in Washington stand für die Syrer zunächst unter einem guten Stern. Vor das Wort „Rückzug“ sollten die Israelis nur noch das Wort „vollkommen“ setzen. Von einem Zeitplan und einer Zwischenlösung mit Internationalen oder US-Truppen, die den Golan dann Schritt für Schritt wieder unter syrische Souveränität stellen, während Syrien im Gegenzug Frieden mit Israel schließt, war ohnehin schon seit Monaten die Rede. Dann schlug das „Gaza-Jericho- Zuerst“-Abkommen wie ein Blitz ein. Die syrisch-israelische Verhandlungsdelegationen verkündet „keine weiteren Fortschritte“. Al- Alaf, der syrische Verhandlungsleiter spricht vom „Nullpunkt“. In Syrien fühlt man sich an das Ende der 70er Jahre erinnert. Noch 1977 war von einer Internationalen Konferenz zur Lösung des israelisch-arabischen Konflikts die Rede. Zwei Jahre später bereiteten die Ägypter dieser Idee mit Camp David ein abruptes Ende.

Bisher herrscht im offiziellen Damaskus relative Funkstille. Arabische Zeitungen sprechen jedoch vom Unmut der Syrer hinter den Kulissen. Der neue Deal sei unvollständig, und das besetzte arabische Land werde nun, wenn überhaupt, in einer Ratenzahlung zurückgegeben.

Dem Libanon stehen mit dem neuen Abkommen keine leichten Zeiten bevor. Dort wird befürchtet, daß die Gegner des Abkommens das Territorium des nördlichen Nachbarn Israels als Hauptoperationsfeld wählen werden. Der Iran hat bereits seine Ablehnung des „Gaza-Jericho-Zuerst“- Deals angekündigt. Die im Südlibanon operierende islamistische Hisbollah-Organisation könnte sich dabei als das entscheidende Instrument erweisen, um das Ganze zu unterminieren.

Fraglich bleibt aber auch, welcher Widerstand sich in den Palästinenserlagern im Libanon zusammenbraut. Die Frage der palästinensischen Flüchtlinge in der Diaspora bleibt im neuen Deal vollkommen ausgeklammert. Der Rückzug der Israelis aus dem von ihm besetzen Teil des Südlibanon steht derzeit ebenfalls nicht zur Debatte. Falls mit dem neuen Deal nun die Konflikte im Libanon wieder aufflammen, wären solche Aussichten weiter entfernt denn je. Doch vieles im Libanon hängt davon ab, wie sich die graue Eminenz des Landes — die Syrer — zum neuen Abkommen stellen werden.

Für die Jordanier ist es besonders hart, daß sie von Arafat über die neuen Regelungen im dunkeln gelassen wurden, sitzen sie doch mit den Palästinensern seit Madrid in einer gemeinsamen Verhandlungsdelegation. Das gilt um so mehr, als Jordanien das Land ist, welches von der neuen Regelung vor allem in der Westbank und Jericho am direktesten betroffen sein wird. Doch auch die Signale aus Jordanien bleiben widersprüchlich. König Hussein traf zunächst mit dem syrischen Präsidenten Assad zu einem mehrstündigen Treffen hinter verschlossenen Türen zusammen, um anschließend nur zu verkünden, daß sie beide von dem neuen Abkommen überrascht wurden. Wenige Tage später unterstützte der König den palästinensisch-israelischen Deal öffentlich. Kronprinz Hassan dagegen kritisierte das Abkommen, da die Frage Jerusalems vollkommen ausgeklammert wurde.

Doch die jetzige Situation könnte schon bald auf den Kopf gestellt werden. Wird das neue Abkommen von den arabischen Ländern als ein Schritt in die Richtung einer vollständigen Lösung akzeptiert, könnten auch bald weitere Abkommen, etwa zwischen Syrien und Israel in puncto Golan folgen. Wenn dann die Palästinenser ihre Intifada, den Aufstand in den besetzten Gebieten, aufgegeben haben werden, besteht für Israel kein Anlaß mehr, die jetzige Lösung in den besetzten Gebieten nicht als endgültig anzusehen. Ohne syrischen Druck und Intifada wäre es dann für die Palästinenser schwer, weitere israelische Zugeständnisse zu erhalten. Dann wären wieder einmal die Palästinenser am Ende die Dummen.

Das Risiko, gegeneinander ausgespielt zu werden, bleibt für die arabische Seite weiterhin bestehen. Es herrscht ein mysteriöses Schweigen in Damaskus, Beirut und Amman. Man wartet jetzt ab, wem als nächstem die Stunde schlägt. Ein wenig mag es vielleicht auch daran liegen, daß von nirgends bisher eine verwirklichbare Alternative zu dem jetzigen Schritt Arafats vorgelegt werden kann.

Aus Kairo Karim El-Gawhary

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