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„Für uns in Jerusalem verbessert sich die Lage nicht“

■ In Ost-Jerusalem hat die Nachricht von der Einigung die Skepsis nicht beseitigen können

Ahmad, der junge Zigarrettenhändler an der Salah-ad-Din- Straße in Ost-Jerusalem, kann sich an diesem Donnerstag abend über die Nachricht von der Anerkennung der PLO als legitime Vertreterin seines Volkes durch Israel nicht übermäßig freuen. Dem Frieden, von dem alle nun seit Tagen reden, mißtraut er. „Die Juden wollen doch keinen Frieden mit uns. Sieh doch, sie demonstrieren zu Tausenden gegen die Politik ihres Ministerpräsidenten. Mein Vater hat sein Leben lang keinen Frieden gekannt und wird ihn auch nicht mehr erleben.“

Die Hoffnung auf einen Frieden, der die Palästinenser zu Beginn der Madrider Friedensgespräche mit Olivenzweigen auf die Straßen trieb, ist geschwunden, vor allem in Ost-Jerusalem, denn über Jerusalem ist bis heute nicht verhandelt worden. „Was haben wir denn gewonnen durch die augenblickliche politische Entwicklung“, fragt ein Zahnarzt, der sich mit einigen Freunden in einer Hotelbar eingefunden hat. „Die Anerkennung der PLO, eine zentrale Forderung der Intifada, kommt zu spät, denn sie ist schon verknüpft mit dem ,Gaza-Jericho-Zuerst‘- Abkommen. Und ich fürchte, daß aus der Formel ein ,Gaza-Jericho- Zuletzt‘ wird. Für uns in Jerusalem verbessert sich die Lage jetzt nicht.“

Und Abu Amr – Arafat? Die Männer in der Bar sind sich einig in der Mißbilligung seines undemokratischen Vorgehens. „Arafat hat die Demokratie wieder einmal ausgehebelt.“ Die Anerkennung Israels und die Aufgabe des bewaffneten Kampfes seien mit entscheidenden Veränderungen der Nationalcharta verbunden, und die hätten ihrer Meinung nach nur vom Palästinensischen Nationalkongreß beschlossen werden dürfen.

Dennoch, die Opposition gegen das Abkommen in Ost-Jerusalem wie auch in den anderen Teilen der besetzten Gebiete befindet sich in der Minderheit. Obwohl die Intifada, da ist man sich in Ost-Jerusalem sicher, weiterleben wird. Aber ihre Bewegung muß sich umorientieren. Im politischen Prozeß sind noch viele empfindliche Fragen zu klären.

Realistisch einschätzen, was erreichbar ist

Der sensibelste Punkt ist unzweifelhaft Jerusalem. Aber auch über das Rückkehrrecht der Flüchtlinge herrschen hier Zweifel. Wie viele werden zurückkehren können und wann? Größte Sorge machen sich die Menschen in den besetzten Gebieten um die Frage der politischen Gefangenen, deren Schicksal ungeklärt ist.

Der junge Mann an der Rezeption des Hotels „National Palace“ sieht der Klärung dieser Fragen hoffnungsvoll entgegen. Für ihn ist das „Gaza-Jericho-Zuerst“-Abkommen ein erster Schritt im Rahmen der Selbstverwaltung der Palästinenser. „Die Menschen sind müde geworden in der Intifada. Heute müssen wir realistisch einschätzen, was für uns erreichbar ist. Früher habe ich selbst davon geträumt, eines Tages in mein Dorf, aus dem meine Familie 1948 vertrieben wurde, zurückkehren zu können. Heute ist auf seinen Ruinen die jüdische Siedlung Moza Illit errichtet, und ich lebe und arbeite in Ost-Jerusalem. Meinen Traum habe ich bewahrt, aber mein Verstand bedeutet mir, dem Autonomie-Abkommen zuzustimmen. Wenn die Palästinenser ,Gaza Jericho zuerst‘ nicht zustimmen, bleibt für sie am Ende nichts mehr übrig.“

Diese Einschätzung scheint von einem Großteil seiner Landsleute geteilt zu werden. Am Freitag morgen, als die von PLO-Führer Jassir Arafat bereits unterzeichnete gegenseitige Anerkennung auch von Israels Premierminister Rabin unterschrieben wird, ziehen die ersten Pro-Fatah-Demonstranten durch verschiedene Orte der besetzten Gebiete; die Palästinenser drücken ihre Unterstützung für das Abkommen aus. Glücklich sind sie über diese Lösung nicht, und die Furcht, am Ende doch die Betrogenen zu sein, wird sie die kommende Zeit begleiten. Kirsten Maas, Ost-Jerusalem

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